Populaermusik Aus Vittula
schließlich, dass es so wäre, als würde man sein Leben lang bergauf wandern.
Sein Leben lang bergauf wandern. Nicht so einfach, sich das vorzustellen. Du spazierst in wunderschönster Ruhe eine lange, sich dahinschlängelnde Tornedalsche Landstraße entlang, so wie die zwischen Pajala und Muodoslompolo. Es ist grünender, sprießender Frühsommer. Der Weg führt durch einen dicht gewachsenen Nadelwald, es duftet von den Morasttümpeln her nach Moor und Sonne. Auerhähne picken Kieselsteine in den Gräben, schrecken mit laut flatternden Flügeln auf und verschwinden im Gestrüpp.
Bald gelangst du zum ersten Anstieg. Du merkst, wie die Erde ansteigt, und spürst, wie es in den Wadenmuskeln zieht. Aber du denkst nicht weiter darüber nach, es ist ja nur eine ganz kleine Steigung. Dort oben wird der Weg sich schon bald wieder zu einer trockenen Waldebene mit dichter weißer Rentierflechte zwischen himmelhohen Bäumen ausstrecken.
Aber die Steigung hält an. Sie ist länger, als du gedacht hast. Die Beine werden müde, die wirst langsamer und hältst immer ungeduldiger nach der Kuppe Ausschau, die doch gleich kommen muss.
Aber sie kommt nicht. Der Weg geht immer weiter hinauf. Der Wald hat sich nicht verändert, Moorflecken und Laubbaumgruppen und ab und zu hässliche Einschläge. Aber die Steigung hält an. Als hätte jemand die ganze Landschaft herausgebrochen und sie an dem einen Rand hochgehoben. Hätte das äußerste Ende hochgehoben und etwas daruntergelegt, einfach nur so, um Ärger zu machen. Und du ahnst allmählich, dass es weiter nach oben gehen wird, den ganzen Tag lang. Und am nächsten Tag auch noch.
Unverdrossen stapfst du nach vorne gebeugt weiter.
Aus Tagen werden Wochen. Die Beine werden bedenklich müde, und die Gedanken befassen sich immer wieder damit, wer wohl so geschickt gewesen sein und das hier aufgebockt haben kann. Und es ist nicht schlecht gemacht, das musst du widerstrebend zugeben. Aber nach Parkajoki wird es ja wohl endlich wieder eben werden, irgendwann muss ja mal Schluss sein. Und du kommst nach Parkajoki, doch die Steigung ist immer noch da, und dann denkst du halt an Kitkiöjoki.
Aus Wochen werden Monate. Du arbeitest sie Schritt für Schritt ab. Der Schnee beginnt zu fallen. Und der Schnee schmilzt und fällt von neuem. Und zwischen Kitkiöjoki und Kitkiöjärvi bist du kurz davor aufzugeben. Die Beine zittern, die
Hüftgelenke schmerzen, die letzten Energiereserven des Körpers sind fast aufgebraucht.
Aber du ruhst dich eine Weile aus und kämpfst dich dann weiter voran. Bald musst du dich doch Muodoslompolo nähern. Ab und zu triffst du jemanden, der aus einer anderen Richtung kommt, das ist unausweichlich. Jemanden, der auf leichten Füßen hinuntertrippelt und auf dem Weg nach Pajala an dir vorbeigeht. Einige von denen haben sogar ein Fahrrad dabei. Sitzen auf dem Sattel, ohne zu treten, können bequem den ganzen Weg hinunterrollen. Da kommen Zweifel auf, das musst du zugeben. Da werden innere Kämpfe ausgefochten.
Und deine Schritte werden kürzer. Und die Jahre vergehen. Und jetzt musst du doch nah sein, ganz, ganz nah. Und noch einmal fällt der Schnee, es ist, wie es sein soll. Du blinzelst in den Schneeböen und meinst, etwas erkennen zu können. Meinst, dort hinten würde es heller werden. Der Wald wird lichter, öffnet sich. Häuser sind zwischen den Bäumen zu erkennen. Das ist die Stadt! Das ist Muodoslompolo! Und mitten in einem Schritt, einem letzten, kurzen und zitternden Schritt ...
Bei der Beerdigung betont der Prediger, dass du im lebendigen Glauben gestorben bist. Die Sache ist klar. Du bist in dem lebendigen Glauben gestorben, sie kuolit elävässä uskossa. Du bist bis Muodoslompolo gekommen, wir alle können das bezeugen, und jetzt sitzt du endlich auf dem goldenen Gepäckträger Gottvaters, des Herren, in einer ewigen, engeltrompetenden Abwärtsfahrt.
Es stellte sich heraus, dass mein Kumpel einen Namen hatte, seine Mutter rief ihn Niila. Beide Eltern waren also streng christlich. Obwohl ihr Haus voller Kinder war, herrschte darin eine traurige, kirchenähnliche Stille. Niila hatte zwei ältere Brüder und zwei kleine Schwestern, und ein weiteres strampelte in Mamas Bauch. Und da jedes Kind ein Geschenk Gottes war, würden es mit der Zeit sicher noch mehr werden.
Es war unglaublich, dass so viele Kinder so leise sein konnten. Sie besaßen kaum Spielsachen, die meisten waren aus unbemal-tem Holz, das die großen Brüder zurechtgeschnitzt hatten.
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