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Populaermusik Aus Vittula

Titel: Populaermusik Aus Vittula Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Damit spielten die Kinder, stumm wie Fische. Und das kam nicht nur daher, weil sie religiös erzogen worden waren, das traf ja auch auf einige andere Familien in Tornedalen zu. Man hatte ganz einfach aufgehört zu reden. Vielleicht aus Scheu, vielleicht aus Wut. Vielleicht, weil man es als unnötig erachtete. Die Eltern öffneten ihren Mund nur zum essen, sonst genügte ein Nicken, und dabei zeigten sie auf das, was sie wollten, und die Kinder gehorchten.
    Auch ich schwieg, als ich Niila besuchte. Als Kind bekommt man das schnell mit. Ich zog meine Schuhe auf der Fußmatte aus und schlich auf weichen Zehenballen, mit gesenktem Kopf, den Rücken leicht gekrümmt, hinein. Ich wurde von einem Schwarm stummer Augen empfangen, im Schaukelstuhl, unter dem Tisch, am Topfschrank. Die Kinderblicke glühten und wichen sogleich wieder aus, stolperten über Küchenwände und den Holzfußboden, um immer wieder zu mir zurückzukommen. Ich starrte nach bestem Vermögen zurück. Das Gesicht des kleinsten Mädchens verzog sich vor Angst, in dem aufgerissenen Kindermund waren die Milchzähne zu sehen, und Tränen begannen sich hervorzudrängen. Sie weinte, aber auch das Weinen war lautlos. Nur die Wangenmuskeln bekamen Falten, während kleine, runde Hände sich an Mamas Rockzipfel klammerten. Die Mutter trug ein Kopftuch, obwohl sie doch im Haus war, sie stand mit den Armen bis zu den Ellbogen in einen Backtrog gesenkt. Das Mehl wirbelte auf und wurde unter ihren kräftigen Knetbewegungen von einem Sonnenstrahl vergoldet. Sie tat so, als würde sie gar nicht merken, dass ich hier war, und Niila nahm das als Zustimmung auf. Er zog mich mit sich zu seinen großen Brüdern, die auf der Küchenbank miteinander
    Schrauben tauschten. Vielleicht war das auch eine Art Spiel, ein kompliziertes Hin und Her zwischen verschiedenen Schachteln und Fächern. Mit der Zeit wurden sie immer wütender aufeinander und begannen schweigend einander die Schrauben aus den Händen zu reißen. Eine Mutter fiel zu Boden, Niila schnappte sie sich. Der älteste Bruder packte blitzschnell seine Hand, bis Niila vor Schmerzen den Atem anhielt und gezwungen war, die Mutter in eine durchsichtige Plastikschachtel fallen zu lassen. Woraufhin der jüngere Bruder die Schachtel auskippte. Ein Klirren von Metall, als der Inhalt sich über den Holzfußboden ergoss.
    Einen Augenblick lang erstarrten alle. Alle Augen in der Küche konzentrierten sich auf die Brüder, ein Brennpunkt wie bei einem Film, der sich verklemmt hat, dann schwarz wird, schrumpelt, und schließlich wird alles weiß. Ich spürte den Hass, ohne etwas zu verstehen. Mit einer scharfen Bewegung packten die Brüder einander beim Hemd. Die Oberarmmuskeln spannten sich an, wie schwere Magneten wurden sie voneinander angezogen. Und die ganze Zeit starrten sie sich in die Augen, kohlschwarze Pupillen, zwei Spiegel, direkt aufeinander gerichtet, während der Abstand sich bis zur Unendlichkeit dehnte.
    Da warf die Mutter den Wischlappen. Er schoss mit einer dünnen Mehlwolke hinter sich durch die Küche, ein Komet mit Schweif, der die Stirn des älteren Sohnes traf. Drohend blieb sie abwartend stehen und strich sich langsam den Teig von den Händen. Sie hatte keine Lust, den ganzen Abend Hemdenknöpfe anzunähen. Widerstrebend lockerten die Brüder ihren Griff. Dann standen sie auf und gingen durch die Küchentür hinaus.
    Die Mutter holte den Wischlappen, wusch sich die Hände und widmete sich wieder dem Teigkneten. Niila packte alle Schrauben in die Plastikschachtel und schob diese mit einer freudigen Miene in seine Tasche. Dann spähte er durchs Küchenfenster hinaus.
    Mitten auf dem Gartenweg standen die Brüder. Ihre Arme schickten einen Fausthieb nach dem anderen aus. Schwere Treffer, sodass die kurzgeschorenen Köpfe wie Kohlrabiköpfe verdreht wurden. Aber kein Schrei, kein Schimpfwort. Schlag für Schlag auf die niedrigen Stirne, über die Kartoffelnasen, harte Treffer auf die purpurroten Ohren. Der Ältere hatte eine größere Reichweite, der Jüngere musste reichlich Schläge einstecken. Beide bluteten aus der Nase. Es tropfte und spritzte, ihre Knöchel waren rot. Und dennoch machten sie weiter. Peng. Klatsch. Peng. Zack.
    Wir bekamen Saft und Zimtbrötchen direkt aus dem Ofen, so heiß, dass man sie eine Weile zwischen den Zähnen behalten musste, bevor man sie kauen konnte. Dann fing Niila an, mit den Schrauben zu spielen. Er kippte sie auf der Küchenbank aus, seine Finger zitterten, mir war klar,

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