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Porterville - Mystery-Serie: Edition I (Folgen 1-6)

Porterville - Mystery-Serie: Edition I (Folgen 1-6)

Titel: Porterville - Mystery-Serie: Edition I (Folgen 1-6) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimon Weber , Anette Strohmeyer , Simon X. Rost , John Beckmann
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Glück! “
    Wir kennen das Lied. Es wird zu jedem besonderen Anlass gesungen. Jede Zeile beginnt gleich.

    Glück ist, in Sicherheit zu leben
    Glück ist, das Wissen zu erstreben
    Glück ist, den Schwachen Schutz zu geben
    Glück ist, der Freude Band zu weben

    Es gibt zweiundsiebzig Zeilen. Text und Melodie stammen vom Bürgermeister höchstpersönlich.
    Mrs. Culbone singt mit und schwingt ihre Arme kreisend durch die Luft.
    Wir sind erst bei der fünfzigsten Zeile angelangt, als Mrs. Dare-Sato erscheint. Begleitet von einem Dutzend uniformierter Frauen der IFIS. Die Gattin des Bürgermeisters trägt zivil. Ein langes weißes Kleid, ein weißer Hut sitzt auf dem Kopf mit den roten Locken.
    Der Bürgermeister liebt Weiß, heißt es. Die Farbe der Reinheit, der Unschuld.
    Mrs. Dare-Sato in ihrem weißen Kleid und die Frauen der Instanz in ihren weißen Uniformen warten neben dem Podest, bis wir das Lied beendet haben.
    Die Direktorin verneigt sich tief und überlässt Mrs. Dare-Sato das Rednerpult.
    Ich habe eine hervorragende Sicht. Ich kann sogar die sich vertiefenden Furchen zu beiden Seiten ihrer Mundwinkel und die Falten unter ihren Augen sehen. Mrs. Dare-Sato schminkt sich nicht. Sie bekennt sich zu ihrem Alter. Das ehrt sie.
    Die Sonne kommt zwischen den Wolken hervor. Das Podest erstrahlt in goldenem Licht. Ein erhebender Anblick!
    „Ich freue mich, bei euch zu sein“, sagt Mrs. Dare-Sato. Der Klang der Worte ist angenehm warm und tief. „Auch wenn wir uns alle der unglücklichen Umstände bewusst sind, die uns heute an diesen Ort führen.“ Sie schließt kurz die Augen. „Erinnern wir uns schweigend an die von uns gegangene Mrs. Perot.“
    Wir wissen nicht genau, wie wir uns verhalten sollen. Aber Schweigen und Bewegungslosigkeit scheinen angemessen zu sein.
    Nach einer gefühlten Zeitspanne von einer Minute breitet die Frau des Bürgermeisters die Arme aus und ruft: „Halten wir nicht am Vergangenen fest! Ihr seid die Fackeln der Zukunft! Und ich überbringe euch die liebevollen Grüße meines Gatten, Bürgermeister Takumi Sato!“
    Die Lehrerinnen applaudieren und Mrs. Culbone ruft „Bravo!“ Aus tiefster Überzeugung stimme ich in den Jubel ein. Alle Mädchen sind außer sich vor Freunde und Dankbarkeit. Marleens sommersprossiges Gesicht ist ganz rot, so sehr kreischt sie irgendwelche Wortfetzen, die in dem allgemeinen Beifallssturm untergehen.
    Nachdem wir minutenlang „Sato! Sato!“ gerufen haben, bringt uns die Frau des Bürgermeisters mit einer einzigen Handbewegung zum Schweigen.
    Marleen weint vor Begeisterung und auch ich schäme mich nicht meiner Tränen. Ehrfurchtsvoll lauschen wir der Rede. Sie handelt von einer großen Zukunft, Frieden und Wohlstand. In der wir Frauen – Mrs. Dare-Sato bezeichnet uns nicht als Mädchen! – eine zentrale Rolle einnehmen werden. Sie spricht nicht von Männern, sondern von Enthaltsamkeit und Konzentration auf das Wesentliche. Ihren Gatten, den Bürgermeister sehen wir nicht als Vertreter des anderen Geschlechts. Er steht über allen Dingen.
    Zum Abschluss deutet Mrs. Dare-Sato auf eine lange Reihe von Tischen. Wir haben gar nicht bemerkt, dass sie in der Zwischenzeit aufgebaut wurden. Auf ihnen stehen große Metallkübel und Geschirr.
    „Milch und Fleischbrühe! Es ist genug für alle!“, ruft die Frau des Bürgermeisters. „Langt zu!“

    Eigentlich wollte ich nichts von der Milch trinken. Ehrlich gesagt schmeckt sie mir nicht. Aber die Brühe mit ihren grauen Fleischfäden war so salzig, dass ich unbedingt etwas gegen den Durst tun musste. Jetzt ist mir ein wenig übel. Ich bin solche Nahrung nicht mehr gewohnt.
    Die Stimmung ist ausgelassen. Die meisten meiner Mitschülerinnen scheinen Milch und Brühe zu mögen. Fett glänzt auf ihren Lippen. Einige haben sogar ihre Schuluniformen bekleckert. Aber dafür werden sie heute nicht gerügt.
    Die Frau des Bürgermeisters wird von den Lehrerinnen umringt. Sie lauscht andächtig und spricht nur selten ein Wort. Als ihr Mrs. Gratschow ein Glas Milch anbietet, lehnt sie höflich ab.
    Ich versuche, so nah wie möglich an Mrs. Dare-Sato heranzukommen. Es ist das erste Mal, dass ich ihr begegne. Ich kenne sie nur von Fotos und den Filmen, die uns manchmal im Unterricht gezeigt werden. Darin gießt sie einen neu gepflanzten Baum, spricht den Patienten in einer Klinik Trost zu oder hält ein Neugeborenes auf dem Arm. Bei den Ansprachen des Bürgermeisters sieht man sie zumeist im Hintergrund. Wo sie von den

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