Porterville - Mystery-Serie: Edition I (Folgen 1-6)
dem Kopfschütteln gar nicht mehr auf. „Da ist es doch stockdunkel. Ich bin einfach nur weggerannt.“
„Du lügst!“, stellt die Lehrerin fest.
Ihre Kollegin, Mrs. Gratschow, kommt nun auch aus dem Bauwagen hervor. In der linken Hand hält sie eine Tasse. „Probleme?“, ruft sie.
„Die feine Dame möchte sich vor der Arbeit drücken. Indem sie Schauergeschichten erfindet“, erwidert Mrs. Perot. „Aber so etwas gibt es bei mir nicht.“ Sie umfasst mit Nachdruck Debras Arm und geht mir ihr zu dem Geröllhügel. Debra sträubt sich bei den ersten Schritten ein wenig, dann fügt sie sich.
Während Mrs. Perot und Debra der Dunkelheit immer näher kommen, fällt mir Mr. Landinos Warnung ein. Er sagte, das Draußen käme zu uns. Daher sollte ich mich nur bei Licht im Freien aufhalten.
Ich bin kurz versucht, Mrs. Perot eine Warnung zuzurufen, aber das darf ich nicht. Mr. Landino hat ausdrücklich verlangt, dass ich über diese Information Stillschweigen bewahre.
Die Frau und das Mädchen treten aus dem Lichtschein. Ich beobachte, wie die Dunkelheit sie einhüllt und substanzlos macht. Alle Schülerinnen haben mit dem Schaufeln aufgehört und starren den beiden nach. Mrs. Gratschow scheint das nicht zu stören. Sie trinkt mit lautem Schlürfen aus ihrer Tasse.
Eine Weile geschieht nichts. Dann hört es sich so an, als würde ein einzelner Stein von der Spitze des Hügels hinabrollen. Polternd schlägt er auf dem Boden auf. Ein paar kleinere Steine folgen ihm. Irgendein Mädchen kichert unterdrückt. Dann kreischt eine Stimme. Sehr lang und sehr laut.
Mrs. Gratschow fällt die Tasse aus der Hand. Sie öffnet den Mund, aber keine Silbe kommt über ihre Lippen.
Der Schrei aus der Dunkelheit will und will nicht enden. Es scheint mir unmöglich, dass ein Mensch ausreichend Luft für einen solchen Schrei haben kann.
Ich bin mir sicher, dass es Mrs. Perots Stimme ist. Das macht es besonders schlimm. Was kann eine resolute Frau wie sie dermaßen in Panik versetzen? Neben mir zittert Marleen am ganzen Leib.
Der Schrei bricht abrupt ab. Er verklingt nicht. Er wird abgeschnitten.
Wir alle, einschließlich Mrs. Gratschow, stehen regungslos da. Auf so etwas sind wir nicht vorbereitet. Erst als von dort, wo gerade etwas Furchtbares mit Mrs. Perot geschehen sein muss, ein lautes Zischen zu uns dringt, lassen wir die Schaufeln fallen und laufen los. Weg von diesem Ort.
„Zurück ins Gebäude!“, ruft Mrs. Gratschow. Dabei sind wir schon längst auf dem Weg.
Das Zischen hat sich lebendig angehört. Ich hetze über den Plattenweg und reiße mir den Ärmel an der Dornenhecke auf.
Was ist mit Debra? Sie hat keinen Laut mehr von sich gegeben.
- 3 -
Vor dem Fenster ist der Tag angebrochen. Doch ich darf den Schlafraum nicht verlassen. Die Anordnung der Schulleiterin ist über die Lautsprecher im Flur verbreitet worden. Seit Stunden bin ich wie die anderen Mädchen von der Außenwelt und allen Informationen abgeschnitten. Aber meine Mitschülerinnen sind wenigstens zu zweit.
Nur Mrs. Gratschow ist kurz aufgetaucht, hat wortlos und mit bleichem Gesicht einen Blick ins Zimmer geworfen und die Tür von außen abgeschlossen.
Keine Frage, die Lage ist ernst. Mr. Landino wusste es. Aber warum wurde dann nicht die Bevölkerung gewarnt? Warum mussten wir trotz der drohenden Gefahr in der Nacht einen sinnlosen Graben schaufeln?
Ich muss unbedingt mit Mr. Landino über diese Versäumnisse sprechen. Vielleicht sogar mit meinem Großvater. Schließlich arbeitet er für den Bürgermeister und wohnt im Sato-Tower. Selbst ihm durfte ich bisher nicht anvertrauen, dass ich die IFIS mit wichtigen Informationen über meine Mitschülerinnen versorge. Dabei würde ihn das bestimmt mit Stolz erfüllen. Aber die Instanz für Innere Sicherheit weiß eben genau, was zu tun ist. Wann man reden darf oder schweigen muss. Obwohl mich die Vorgänge in der vergangenen Nacht ein wenig zweifeln lassen.
Ich kann nur hoffen, dass Bürgermeister Sato umgehend informiert wird. Der Schutz der Bürger ist ihm das Allerwichtigste.
Aus den Lautsprechern im Flur erklingt ein lautes Knacken. Dann spricht die Schulleiterin: „Der Unterricht für den heutigen Tag beginnt um 12 Uhr.“
Ich sehe auf die Uhr an der Wand. Bis dahin sind es noch knapp zwei Stunden.
„Ihr werdet euch in einer Viertelstunde im Speisesaal einfinden.“
Ein erneutes Knacken beendet die Durchsage. Ich habe gerade den Overall gegen die Schuluniform eingetauscht, als ich höre, wie
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