Portland Head Light
sehr viel Gestank und Krach bestanden hatte. Vielleicht zog ihn deshalb diese Stille die hier herrschte, von dem stetigen Rauschen des Meeres mal abgesehen, so an. Dominic konnte sich zumindest nicht daran erinnern, dass er früher jemals in einer Nacht einfach so mitten auf einer Straße gestanden, die Stille um sich herum genossen und die unzähligen Sterne am Himmel beobachtet hatte. An den Orten, wo er bisher gelebt hatte, war es meistens auch in tiefster Nacht viel zu hell gewesen, um überhaupt einen Stern am Himmel ausmachen zu können.
Hier hatte er damit keine Probleme. In Cape Elizabeth wurden die Bürgersteige jeden Abend pünktlich hochgeklappt und spätestens um Mitternacht schlief der gesamte Ort. Das war die Zeit wo Dominic sich in seinem alten Leben, als Besitzer eines Motorradrennstalls und als Fahrer in selbigem, oft genug gerade fertiggemacht hatte, um auf die Piste zu gehen. Aber diese Pisten gab es für ihn nicht mehr. Statt dem lauten Dröhnen von Motoren, hatte er seit einigen Wochen nur noch das Rauschen des Meeres in seinen Ohren, und der beständige Geruch nach Abgasen, Öl, Benzin und Leder war ersetzt worden durch den erdigen der Wälder überall um die Stadt herum und dem salzigen des Wassers. In den frühen Morgenstunden, die Dominic oft am Hafen verbrachte, kam dann immer noch der Geruch von Fisch dazu.
Die Bewohner von Cape Elizabeth führten ein beschauliches Leben, kümmerten sich liebevoll um ihre Touristen und waren auf eine, ihm anfangs so fremde Art und Weise, freundlich, ehrlich und offen, dass Dominic in den ersten Tagen nach seiner Ankunft die meiste Zeit nur komplett irritiert gewesen war, weil er diese Ehrlichkeit der Menschen nicht einzuschätzen gewusst hatte. Es hatte niemanden gekümmert, dass er 'der Neue' in der Stadt gewesen war. Er war von Anfang an genauso herzlich Willkommen gewesen wie jeder Andere und daran hatte Dominic sich erst einmal gewöhnen müssen.
Mittlerweile kannte er längst einige der Bewohner mit Namen und sie freuten sich, wenn er bei ihnen vorbeikam. Egal ob es Charlies Diner am Ende der Straße war, Melissas Bäckerei gleich gegenüber, oder Henry mit seinem Zeitungs- und Tabakgeschäft, der den lieben, langen Tag vor seinem Laden auf einer wackligen Bank saß, um mit Franklin, dem gutmütigen Besitzer der Videothek direkt nebenan, zu tratschen.
Sie fragten ihn jedes Mal, wie es ihm ging, wenn er vorbeikam, um sich eine Tageszeitung und Kleinkram zu kaufen, und Dominic mochte diese Menschen von Tag zu Tag mehr. Wahrscheinlich hatte er auch deshalb beschlossen, den Winter hier zu verbringen und war gestern von der kleinen Pension, in der er nach seiner Ankunft vor einem Monat untergekommen war, in sein neues Haus direkt an den Klippen gezogen. Andrew, der verwitwete Fischer, dem er erst seinen Laster repariert und dann regelmäßig vorbeigekommen war, um mit dem alten Mann zu plaudern, hatte ihm sein Haus einfach so vererbt, als er vor zwei Wochen an seinem schwachen Herzen gestorben war.
Dominic war aus allen Wolken gefallen und hatte das Erbe zuerst ausschlagen wollen, aber da der alte Andrew keine Kinder und keine weitere Familie mehr hatte, gab es außer ihm niemanden, der an dem Haus interessiert gewesen wäre und aus dem Grund hatte Dominic dem Bitten des Nachlassverwalters nachgegeben und das Erbe angenommen. Und hier war er jetzt. In einer Kleinstadt in Maine, auf der Suche nach einem neuen Leben, und so neugierig wie ein kleines Kind, das in einem Spielzeugladen abgesetzt worden war.
Dominic lachte leise und legte den Kopf in den Nacken, um seine Augen zu schließen und sich vom sanften Wind umwehen zu lassen. Dafür, dass es später Herbst war, war es in den Nächten noch immer angenehm warm, aber das würde sich bald ändern. Der uralte Fred, ein ehemaliger Fischer, der trotz seines Ruhestand jeden Morgen am Pier zu finden war, hatte ihm gestern gesagt, dass es spätestens in einer Woche empfindlich kälter werden würde, und da Fred schon dafür berühmt war das Wetter vorhersagen zu können, hatte Dominic vor, noch in dieser Woche seinen Vorratsraum aufzustocken und sein Haus für den Winter klarzumachen.
„Ha! Unser großer Schweiger. Du bist aber früh dran heute.“
Dominic zuckte überrascht zusammen und drehte sich um, um direkt auf Freds zahnloses Lächeln zu schauen, der einige Schritte hinter ihm auf seinen Gehstock gestützt stand und gerade dabei war, sich aus dem Inhalt seiner Tabakdose eine Zigarette zu drehen.
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