Portrat in Sepia
großen Bauten in den verschiedensten Stilarten,
Luxus und Armut bunt durcheinander, als wäre es in aller Eile
hochgezogen worden. Er sah ein totes, mit Fliegen übersätes
Pferd vor der Tür eines eleganten Geschäfts liegen, das Geigen
und Klaviere anbot. Durch den lärmenden Verkehr von Tieren
und Kutschen bahnte sich eine kosmopolitische Menge den
Weg: Amerikaner, Spanier, Franzosen, Iren, Italiener, Deutsche,
einige Indios und auch ehemalige Negersklaven, jetzt zwar frei,
aber noch immer arm und verachtet. Sie wendeten sich nach
Chinatown, und augenblicklich fanden sie sich in einem
fremden Land wieder, von »Söhnen des Himmels« bevölkert,
wie die Chinesen genannt wurden, die nun der Kutscher mit
Peitschenknallen scheuchte, während er den Fiaker auf den
Union Square lenkte. Er hielt vor einem Haus in
viktorianischem Stil, einem einfachen Bau im Vergleich zu den
Verirrungen an Simsschnörkeln, Reliefs und Rosetten, die man
hier überall sah. »Dies ist der Teesalon der Señora Sommers, der
einzige in dieser Gegend«, erklärte Paulina. »Kaffee kannst du
trinken, wo du Lust hast, aber für eine Tasse Tee muß du schon
hierherkommen. Die Yankees verabscheuen dieses edle Getränk
seit dem Unabhängigkeitskrieg, als die Rebellen den englischen
Tee in Boston ins Meer schütteten.«
»Aber hegt das nicht schon hundert Jahre zurück?«
»Da siehst du’s, Severo, wie dämlich Patriotismus sein kann.«
Nicht der Tee war der Grund für Paulinas häufige Besuche in
diesem Salon, sondern Ehza Sommers’ berühmte Konditorkunst,
die das Innere mit dem köstlichen Duft von Vanille und
karamelisiertem Zucker erfüllte. Das Haus - wie so viele andere
in den ersten Jahren San Franciscos aus England
herübergeschafft, versehen mit einem Handbuch voller
Anweisungen, nach denen man es zusammenbauen konnte wie
ein Spielzeug
- hatte zwei Stockwerke, von einem Turm
gekrönt, womit es aussah wie eine Dorfkirche. Im ersten Stock
hatte man zwei Räume miteinander verbunden, um einen
größeren Speisesaal zu erhalten, es gab mehrere Sessel mit
geschwungenen Beinen und fünf runde, weiß gedeckte
Tischchen. Im zweiten Stock wurden aus bester belgischer
Schokolade handgefertigte Pralinen in Schachteln verkauft wie
auch Marzipan und mehrere Sorten Süßigkeiten nach
chilenischer Art, die Paulina del Valle besonders liebte. Die
Bedienung versahen zwei Mexikanerinnen mit langen Zöpfen,
schneeweißen Schürzen und gestärkten Häubchen, telepathisch
gelenkt von der kleinen Senora Sommers, die kaum anwesend
zu sein schien verglichen mit Paulinas gewichtiger Präsenz. Die
Mode der schmalen Taillen und der bauschigen Röcke
begünstigte erstere, vervielfältigte dagegen den Umfang der
anderen; außerdem sparte Paulina del Valle nicht am Stoff, an
Troddeln, Pompons und Gefälteltem. An diesem Tag war sie als
Bienenkönigin aufgeputzt, in Gelb und Schwarz vom Kopf bis
zu den Füßen, dazu trug sie einen Hut mit Federbusch und ein
Mieder mit Streifen. Mit viel Streifen. Als sie in den Salon
einmarschierte, schien die Luft für alle ändern dünner zu
werden, und bei jedem Schritt, den sie tat, klirrten die Tassen
und ächzten die dünnen Holzwände. Die Serviermädchen, die
sie hereinkommen sahen, rannten, eines der zerbrechlichen
Stühlchen gegen einen standfesteren Sessel einzutauschen, in
den die Dame sich anmutig niederließ. Sie bewegte sich
achtsam, denn sie fand, nichts mache so häßlich wie Eile; sie
vermied auch die Geräusche, die alten Leuten unterlaufen,
niemals ließ sie in der Öffentlichkeit ein Keuchen, Husten,
Schnaufen oder einen Seufzer der Erschöpfung entschlüpfen,
auch wenn die Füße sie noch so sehr plagten. »Ich will keine
grobe Stimme bekommen«, sagte sie und gurgelte täglich mit
Zitronensaft, in dem Honig aufgelöst war, um ihre Stimme
weich zu erhalten. Eliza Sommers, klein und gerade wie ein
Degen, in einem dunkelblauen Rock und einer
melonenfarbenen, an Handgelenken und Hals geknöpften Bluse,
mit einem unauffälligen Perlenhalsband als einzigem Schmuck,
sah bemerkenswert jung aus. Sie sprach ein aus Mangel an
Gebrauch etwas eingerostetes Spanisch und das Englische mit
britischem Akzent und sprang innerhalb eines Satzes von einer
Sprache zur ändern, genau wie auch Paulina. Ihr Geld und ihr
aristokratisches Blut hoben Señora del Valle weit über den
gesellschaftlichen Stand Elizas. Bei einer Frau, die aus Spaß an
der Sache arbeitete, konnte etwas nicht stimmen,
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