Portrat in Sepia
Danach blies mir mein Onkel Lucky
seinen Atem ins Gesicht, um sein Glück auf mich zu übertragen.
Wie großmütig die Absicht, so unfehlbar die Methode, denn
zumindest in diesen ersten dreißig Jahren meines Lebens ist es
mir gutgegangen. Aber halt, ich darf nicht vorgreifen. Diese
Geschichte ist lang und beginnt weit vor meiner Geburt; es
braucht Geduld, sie zu erzählen, und noch mehr Geduld, ihr
zuzuhören. Wenn unterwegs der Faden verlorengeht
- nicht
verzweifeln, ein paar Seiten weiter erwischt man ihn todsicher
wieder. Weil wir ja irgendwann anfangen müssen, nehmen wir
das Jahr 1862 und sagen einfach, die Geschichte beginnt mit
einem Möbelstück von unglaublichen Proportionen.
Das Bett Paulina del Valles wurde in Florenz verladen ein
Jahr nach der Krönung Viktor Emanuels, als in dem neuen
Königreich Italien noch der Widerhall von Garibaldis Schüssen
in der Luft hing; es überquerte auseinandergenommen und
verpackt das Meer auf einem Genueser Ozeanschiff, landete in
New York mitten in einem blutigen Aufstand und wurde weiter
verfrachtet auf einen Dampfer der Reederei meiner Großeltern
väterlicherseits, der Rodriguez de Santa Cruz, in den
Vereinigten Staaten lebender Chilenen. Kapitän John Sommers
war beauftragt, die Kisten in Empfang zu nehmen, die auf
italienisch nur mit einem einzigen Wort gekennzeichnet waren: Ninfe. Dieser robuste Seemann, von dem lediglich eine
verblichene Fotografie geblieben ist und ein von unzähligen
Seefahrten verbeulter, abgeschabter Lederkoffer voller
bemerkenswerter Manuskripte, war mein Urgroßvater, wie ich
vor kurzem herausfand, als meine Vergangenheit nach vielen
geheimnisumwitterten Jahren sich endlich zu lichten begann. Ich
habe Kapitän John Sommers, den Vater von Eliza Sommers,
meiner Großmutter mütterlicherseits, nicht gekannt, aber eine
gewisse Neigung zum Vagabundieren, die habe ich von ihm
geerbt. Diesem Mann des salzigen Meeres und der klaren
Horizonte fiel die Aufgabe zu, das florentinische Bett im
Kielraum seines Schiffes auf die andere Seite des
amerikanischen Kontinents zu bringen. Er mußte der Blockade
der Yankees und den Angriffen der Konföderierten ausweichen,
die südlichen Ausläufer des Atlantik erreichen, die trügerischen
Wasser der Magellanstraße durchqueren, in den Pazifischen
Ozean einfahren und, nach kurzen Halts in einigen
südamerikanischen Häfen, Nordkalifornien, das alte Goldland,
ansteuern. Er hatte genaue Order, wie er am Kai von San
Francisco zu verfahren hatte: Er mußte die Kisten öffnen, den
Schiffszimmermann überwachen, während der die einzelnen
Teile wie ein Puzzlespiel zusammensetzte und dabei sorgfältig
auf die Schnitzereien achtgab, dann mußte er die
Roßhaarmatratze und darüber die Decke aus rubinrotem Brokat
auflegen, das ungefüge Möbel auf einen Wagen heben lassen
und in die Stadt hineinschicken. Der Kutscher hatte Anweisung,
langsam zu fahren, zweimal den Union Square zu umrunden und
dann noch zweimal, wobei er unter dem Balkon der Geliebten
meines Großvaters mit einer Glocke läuten sollte, um schließlich
sein Endziel zu erreichen, das Haus von Paulina del Valle. Diese
logistische Großtat mußte der Kapitän mitten im Bürgerkrieg
bewerkstelligen, während die Heere der Yankees und der
Konföderierten sich im Süden des Landes gegenseitig
massakrierten und niemandem der Sinn nach Scherzen oder
Glöckchengeklingel stand. John Sommers erteilte seine
Anordnungen unter Flüchen, denn in den Monaten der Überfahrt
war das Bett schließlich zum Symbol dessen geworden, was er
bei seiner Arbeit am meisten haßte: die Launen seiner Chefin
Paulina del Valle. Als er das Bett auf dem Wagen davonfahren
sah, seufzte er tief auf und beschloß, dies solle das letzte sein,
was er für sie tat; er stand seit zwölf Jahren unter ihrem Befehl
und hatte die Grenzen seiner Geduld erreicht. Das Möbel gibt es
heute noch in seiner ganzen Pracht, ein schwergewichtiger
Dinosaurier aus mehrfarbig bemaltem Holz; am Kopfende thront
Gott Neptun, umgeben von schäumenden Wellen und
Meeresgeschöpfen in Basrelief, während am Fußende Delphine
und Najaden spielen. Halb San Francisco konnte das olympische
Lager ausgiebig würdigen, aber die Geliebte meines Großvaters,
der das Spektakel zugedacht war, hielt sich versteckt, als der
Wagen vorbeifuhr und mit seinem Gebimmel wieder und noch
einmal vorbeifuhr. »Mein Triumph hielt nicht lange vor«,
gestand Paulina mir viele Jahre später, als
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