Portrat in Sepia
sie hochzuheben und ins Bett zu tragen,
aber er schaffte es nicht.
»Donnerwetter, Paulina! Hast du Steine im Schlüpfer?« fragte
er lachend. »Das ist Fett«, erwiderte sie seufzend. »Das muß ich
sehen!«
»Auf gar keinen Fall! Von jetzt an darfst du nur noch nachts
und ohne Licht in mein Zimmer kommen.«
Eine Zeitlang liebten sich diese beiden, die das sonst ohne
Scham getan hatten, nur noch im Dunkeln. Paulina blieb
ungerührt gegen die Bitten und die Wutanfälle ihres Mannes,
der sich niemals damit abfinden wollte, sie im schwarzdusteren
Zimmer unter einem Berg von Bettzeug zu finden und sie dann
mit Missionarshast zu umarmen, während sie ihm die Hände
festhielt, damit er nicht ihr Fleisch abtastete. Dieses
Draufundweg erschöpfte sie beide und zermürbte ihre Nerven.
Endlich verschaffte der Umzug in das neue Haus auf Nob Hill
Paulina eine Lösung: sie ließ den von ihren Räumen am
weitesten entfernten Flügel für Feliciano einrichten und
verriegelte ihre Tür. Der Widerwille gegen ihren eigenen Körper
war stärker als das Verlangen, das sie nach ihrem Mann
empfand. Ihr Hals verschwand unter dem Doppelkinn, Brüste
und Bauch waren eine unförmige Masse, ihre Beine trugen sie
kaum länger als ein paar Minuten, sie konnte sich weder alleine
anziehen noch sich die Schuhe zubinden; dennoch, wenn sie in
ihren Seidengewändern und mit den prachtvollen Juwelen
auftrat, bot sie immer einen grandiosen Anblick. Ihre größte
Sorge war der Schweiß zwischen den Speckfalten, und sie fragte
mich oft und oft flüsternd, ob sie schlecht rieche, aber ich nahm
an ihr nie einen anderen Geruch wahr als den nach Eau de
Gardénias und Talkpuder. Entgegen dem damals
weitverbreiteten Glauben, Wasser und Seife seien der
Gesundheit abträglich, verbrachte sie ganze Stunden in ihrer
emaillierten Eisenbadewanne, wo sie sich wieder leicht fühlte
wie in ihrer Jugend. Sie hatte sich in Feliciano verliebt, als der
ein hübscher und ehrgeiziger Junge war, dazu Besitzer einiger
Silberminen im Norden Chiles, nur leider forderte sie mit dieser
Liebe den Zorn ihres Vaters heraus - Agustin del Valle erscheint
übrigens in der Geschichtsschreibung Chiles als Gründer einer
winzigen, ärmlichen, ultrakonservativen Partei, die seit mehr als
zwei Jahrzehnten verschwunden ist, aber gelegentlich wieder
auflebt wie ein kläglicher gerupfter Vogel Phönix. Diese Liebe
zu ihrem Mann war weiter in ihr lebendig, als sie ihm das
Betreten ihres Schlafzimmers verbot in einem Alter, in dem ihre
Natur mehr denn je nach einer Umarmung verlangte. Im
Gegensatz zu ihr wurde Feliciano mit Anmut älter. Sein Haar
war grau geworden, aber er war immer noch dasselbe fröhliche,
leidenschaftliche und leichtsinnige Mannsbild. Paulina mochte
seine vulgäre Ader, der Gedanke gefiel ihr, daß dieser Mann von
Welt mit den hochtönenden Namen von sephardischen Juden
abstammte und daß unter seinen Seidenhemden mit
eingesticktem Monogramm wie bei einem gewöhnlichen
Kneipengänger eine Tätowierung prangte, die er sich im Hafen
bei einem Besäufnis hatte antun lassen. Sie sehnte sich danach,
wieder die Ferkeleien zu hören, die er ihr in den Zeiten
zugeflüstert hatte, als sie noch bei Lampenschein im Bett
schaukelten, und sie hätte alles dafür gegeben, wenn sie noch
einmal ihren Kopf auf den blauen Drachen hätte legen können,
der mit unlöschbarer Tinte in die Schulter ihres Mannes
eingestichelt war. Niemals hätte sie geglaubt, daß er sich das
gleiche wünschte. Für Feliciano war sie immer die kecke junge
Braut geblieben, die einst mit ihm geflohe n war, die einzige
Frau, die er bewunderte und fürchtete. Ich denke, daß diese
beiden nie aufgehört haben, sich zu lieben, trotz der stürmischen
Wucht ihrer Streitereien, bei denen alle im Haus zitterten. Die
Umarmungen, die sie früher so glücklich gemacht hatten,
verwandelten sich in Kämpfe, die in langfristigen Waffenruhen
und denkwürdigen Racheakten wie dem florentinischen Bett
endeten, aber keine Beschimpfung, keine Bezichtigung konnte
ihre Beziehung zerstören, und bis zum Schluß, als er von einem
Schlaganfall tödlich getroffen wurde, waren beide vereint durch
eine beneidenswerte Komplizenschaft zweier Gauner.
Als Kapitän Sommers sich versichert hatte, daß das
mythologische Möbelstück gut befestigt auf dem Wagen stand
und der Kutscher seine Anweisungen begriffen hatte, machte er
sich zu Fuß auf den Weg nach Chinatown, wie er es bei jedem
seiner
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