Poseidons Gold
war sie entweder ein Mythos oder eine Maus. Jedenfalls hatte sie sich nie blicken lassen. Vielleicht wußte sie ja, was für Speisen in ihrer schlampigen Caupona serviert wurden. Oder wie viele Gäste sich gern wegen der überhöhten Rechnung beschwert hätten.
Der Kellner hieß Epimandos. Sollte er seine Chefin je persönlich kennengelernt haben, so behielt er das jedenfalls für sich.
Epimandos war vermutlich ein entlaufener Sklave. Wenn das stimmte, dann versteckte er sich hier seit Jahren mit Erfolg. Trotzdem sah er sich dauernd verstohlen um, wie einer auf der Flucht. Sein langgezogenes Gesicht saß auf den Schultern wie eine Maske. Er war stärker, als er aussah, weil er dauernd schwere Töpfe schleppen mußte. Seine Tunika war mit Spuren von Eintopf bekleckert, und unter seinen Fingernägeln lauerte eine untilgbare Knoblauchfahne.
Die Katze, die mich ignoriert hatte, war ein Kater und hieß Zwirn. Im Gegensatz zu dem Kellner war er eigentlich recht stämmig, hatte einen buschigen gestreiften Schwanz und einen heimtückischen Blick. Da er aussah wie ein Tier, das freundschaftliche Kontakte sucht, wollte ich ihm einen Fußtritt verpassen. Zwirn duckte sich verächtlich; mein Fuß traf Epimandos, der aber nicht dagegen protestierte, sondern bloß fragte: »Das Übliche?« Er sagte das so, als wäre ich erst seit letzten Mittwoch weggewesen und nicht so lange, daß ich selbst nicht mehr wußte, was »das Übliche« war.
Eine Schüssel mit merkwürdigem Eintopf und ein sehr kleiner Krug Wein offenbar. Kein Wunder, daß mein Hirn das verdrängt hatte.
»Schmeckt’s?« fragte Epimandos. Es hieß, er sei zu nichts zu gebrauchen, aber mir gegenüber war er stets sehr eifrig gewesen. Vielleicht hatte das was mit Festus zu tun. Der hatte nämlich ständig im Flora rumgehangen, und der Kellner erinnerte sich seiner immer noch mit sichtlicher Freude.
»Sieht aus wie immer!« Ich brach ein Stück Brot ab und tunkte es in die Schüssel. Eine Woge von Schaum schwappte mir entgegen. Die Fleischschicht darunter war viel zu hellrot; obenauf schwamm ein halber Zoll einer durchsichtigen Flüssigkeit, gekrönt von ein paar trägen Tropfen Öl, zwischen denen zwei Zwiebelringe und einige winzige dunkelgrüne Salatfetzen herumruderten wie Käfer in einer Wassertonne. Ich nahm einen Bissen und verklebte mir prompt den Gaumen mit Fett. Um den Schock zu überspielen, fragte ich: »Wohnt hier seit gestern ein militärischer Kläffer namens Censorinus?« Epimandos antwortete mir nur mit seinem gewohnt vagen Blick. »Sag ihm, ich würde gern mit ihm reden, ja?«
Epimandos wanderte zurück zu seinen Töpfen und fing an, mit einer verbogenen Schöpfkelle darin herumzurühren. Die trübe Suppe schwappte hoch wie ein Sumpf, der den Kellner kopfüber verschlucken wollte. Ein übermäßig strenger Geruch von Krabbenfleisch durchzog die Caupona. Epimandos machte keine Anstalten, meine Botschaft weiterzuleiten, aber ich unterdrückte den Wunsch, deswegen zu meckern. Das Flora war eine Kneipe, wo alles seine Zeit brauchte. Die Gäste hatten es nicht eilig; ein paar hätten zwar im Prinzip etwas zu tun gehabt, wußten sich aber zielstrebig zu drücken. Die meisten hatten kein Ziel und konnten sich kaum mehr erinnern, warum sie ausgerechnet diese Kneipe betreten hatten.
Um den Geschmack des Essens loszuwerden, nahm ich einen Schluck Wein. Wonach immer der schmeckte – Wein war es jedenfalls nicht. Aber immerhin brachte mich das Gesöff auf andere Gedanken.
Eine geschlagene halbe Stunde grübelte ich darüber nach, wie kurz das Leben und wie scheußlich der Wein war. Epimandos machte keinen einzigen erkennbaren Versuch, Censorinus zu benachrichtigen, und bald hatte er mit den Mittagsgästen genug zu tun, die von der Straße hereinspaziert kamen und sich an die Tresen lehnten. Als ich eben meinen zweiten Krug Wein riskierte, stand der Soldat plötzlich neben mir. Er mußte aus dem Hinterzimmer gekommen sein, wo hinter der Kochbank eine Stiege zu den winzigen Kammern hinaufführte, die das Flora gelegentlich an Leute vermietete, denen kein besserer Schlafplatz einfiel.
»Du willst also Ärger, wie?« feixte er hämisch.
»Eigentlich will ich mit dir reden«, antwortete ich, so gut es ging, mit vollem Mund. Der Leckerbissen, an dem ich gerade knabberte, war zu sehnig, als daß man ihn rasch hätte kauen können; ich hatte vielmehr den Eindruck, für den Rest meines Lebens an diesem Knorpel rumnagen zu müssen. Endlich hatte ich ihn aber doch
Weitere Kostenlose Bücher