Poseidons Gold
gingen durch die ganze Zimmerflucht zurück bis zur Treppe. Aber zu meiner Überraschung führte er mich nicht wieder hinunter, sondern noch einen Stock höher. Ich befürchtete schon, das Opfer irgendeines perversen Scherzes zu werden, als wir einen niedrigen Torbogen mit eichener Tür erreichten. Papa stemmte den Riegel auf, trat beiseite und ließ mich als ersten mit eingezogenem Kopf hindurchschlüpfen.
Es war ein Dachgarten. In gewaltigen Trögen wuchsen Blattpflanzen, Blumen, sogar kleine Bäume. Rosen und Efeu rankten sich an sauber gezogenem Spalier empor, und auch entlang der Brüstung blühten Rosen, die mit Hilfe unsichtbarer Fäden zu Girlanden gewunden waren. Und zwischen schattenspendenden Buchsbäumchen standen zwei Steinsitze mit Löwenhäuptern an den Lehnen und mit Blick über den Fluß bis hin zu Caesars Gärten, der Transtiberina und dem Kamm des Ianiculums, der von hier oben aussah wie der Buckel eines Wals.
»Oh, das ist überwältigend!« Ich brachte mühsam ein verzerrtes Grinsen zustande.
»Ha!« Er gluckste vergnügt. »Jetzt hab ich dich, was?« Natürlich wußte er, daß ich von der Familie mütterlicherseits die Liebe zu allem, was grünt und blüht, geerbt hatte.
Er wollte mich zu einer der beiden Steinbänke dirigieren, doch ich stand schon vorn an der Brüstung und genoß die herrliche Aussicht. »Was bist du doch für ein verdammter Glückspilz! Wer macht die Gartenarbeit?«
»Ich hab ihn selbst angelegt. Mußte eigens das Dach verstärken lassen. Jetzt weißt du, warum ich so viele Sklaven habe. Wasser und Erde in Eimern drei Treppen raufzuschleppen ist kein Vergnügen. Ich verbringe fast jede freie Stunde hier oben …«
Das wunderte mich nicht. Ich hätte es genauso gemacht.
Wir setzten uns jeder auf eine Bank. So war man zusammen und doch für sich. Damit konnte ich umgehen.
»Also.« Er seufzte. »Capua …«
»Ich fahre hin.«
»Ich komme mit.«
»Nicht nötig. Einen Bildhauer kann ich auch allein zusammenschlagen, und wenn er noch so hinterhältig ist. Zum Glück wissen wir in diesem Fall schon vorher, daß er’s ist.«
»Alle Bildhauer sind raffiniert. In Capua gibt’s ein ganzes Nest davon. Und du weißt nicht mal, wie Orontes aussieht. Also werde ich dich begleiten, und damit basta. Ich kenne ihn nämlich, und vor allem kenne ich mich in Capua aus.« Klar, er hatte ja auch jahrelang dort gelebt.
»Ach was! In so einem popeligen Dorf in der Campania finde ich mich allemal zurecht«, höhnte ich verächtlich.
»Nichts da! Helena Justina will sicher nicht, daß jeder hergelaufene Taschendieb dich ausraubt oder daß du dich womöglich mit einem Flittchen einläßt …«
Ich wollte ihn schon fragen, ob es ihm so ergangen sei, als er nach Capua kam. Aber dann fiel mir gerade noch rechtzeitig ein, daß Papa bei seiner Flucht in die Campania ja sein eigenes Flittchen dabei hatte.
»Was wird während deiner Abwesenheit aus dem Geschäft?«
»Mein Laden ist so gut organisiert, daß er auch mal ein paar Tage ohne mich läuft. Und wenn doch was schiefgehen sollte, dann kann Madame die nötigen Entscheidungen treffen.«
Mit Staunen hörte ich, daß die Rothaarige sein Vertrauen so uneingeschränkt genoß, ja, daß sie sich überhaupt um seine Geschäfte kümmerte. Aus irgendeinem Grund hatte ich sie immer als negativen Charakter gesehen. Außerdem hielt ich meinen Vater für den Typ Mann, der die gesellschaftliche Rolle der Frau streng traditionell definiert. Aber diesen Maßstäben mußte der Rotschopf sich natürlich nicht unbedingt unterwerfen.
Hinter uns öffnete sich die Tür. Erschrocken fuhr ich herum, voller Furcht, daß Papas Rothaarige frühzeitig heimgekommen wäre. Aber es war nur ein Sklave mit einem großen Tablett. Vermutlich war das der Grund für Papas kleine Unterredung mit dem Hausverwalter gewesen. Ein Vogelbad diente als Behelfstisch für das Tablett; Papa wies mit einladender Handbewegung darauf und sagte: »Greif zu, Marcus. Du hast ja noch nicht zu Mittag gegessen.«
Er hatte recht. Es war zwar schon später Nachmittag, aber wir waren nicht dazu gekommen, uns zwischendurch irgendwo zu stärken. Papa bediente sich, ließ mich aber meine eigene Entscheidung treffen. Unter dieser Bedingung schien mir die Einladung akzeptabel, und ich langte kräftig zu.
Es gab nichts Besonderes, nur ein paar kalte Häppchen – eben die Art improvisierter Imbiß, die man eilig zusammenstellt wenn der Herr unerwartet heimkommt. Aber es schmeckte köstlich.
Weitere Kostenlose Bücher