Poseidons Gold
Jahren nur an Reife gewonnen, wie ein guter Wein. Als ich wieder hinunterkam, war sie noch da. Sie stand an der Theke und kaufte Rippchen zum Mitnehmen. So, wie sie am Tresen lehnte, hätte man glauben können, ihre üppigen Formen bedürften einer extra Stütze. Vor ihrem kecken Blick war das ganze Kneipenpublikum verstummt, und ihre feurigen braunen Augen stellten mit dem Kellner Dinge an, die seine Mutter ihm in der Öffentlichkeit ganz bestimmt verboten hatte. Aber er verschwendete keinen Gedanken an seine treusorgende Mama. Die Kleine war übrigens brünett, falls das von Interesse sein sollte.
Ich verdrückte mich in eine Ecke, wo mich niemand sehen konnte, und als sie ging, tat ich das, was jeder Mann in der Kneipe am liebsten getan hätte: Ich folgte ihr.
L
Wagen Sie’s nicht mal zu denken.
Niemals steige ich fremden Frauen mit der Absicht nach.
Im übrigen war mir die reizende Brünette gar nicht so fremd. Ich hatte sie sogar schon nackt gesehen (auch wenn sie davon nichts ahnte). Und ich war dabeigewesen, als sie im Circus neben meinem Bruder saß. Ich hätte also ganz lässig ihren Namen rufen und versuchen können, mit folgender Einleitung ihre Bekanntschaft zu machen: »Entschuldigen Sie, aber ich glaube, ich hab Sie mal mit meinem Bruder zusammen gesehen.« (Die alte Masche!)
Der Name, bei dem ich sie gerufen hätte, wären derartige Anbandeleien nicht unter meinem Niveau gewesen, war Rubinia.
Ich wählte den anständigen Weg und beschattete sie bis zu dem Liebesnest, das sie mit dem Bildhauer Orontes teilte. Beide wohnten zwei Meilen außerhalb der Stadt und wähnten sich in ihrem Schlupfwinkel wohl sehr sicher, besonders bei Nacht. Das hinreißende Modell war jedenfalls völlig arglos und merkte nicht, daß ihr ein römischer Meisterdetektiv auf leisen Sohlen nachschlich.
Ich gab ihnen Zeit, ihr Abendbrot zu verzehren, es hinunterzuspülen und sich engumschlungen schlafen zu legen. Dann erst trat ich ein, ohne vorher anzuklopfen.
Sie waren höchst überrascht.
Und, wie mir schien, nicht im mindesten erfreut.
LI
Nicht, daß ich Nacktheit anstößig fände. Aber gegen sie zu kämpfen kann einem – besonders bei der weiblichen Variante – schon sehr zusetzen.
Das empörte Modell ging mit einem Küchenmesser auf mich los. Wie sie da wild entschlossen durch das Atelier des Bildhauers stürmte, das hatte den Schwung der berühmten Nike von Samothrake, nur mit dem Unterschied, daß die Göttin züchtig bekleidet war. Zum Glück war es ein weitläufiges Atelier. Ich bekam ihre aufreizenden Kurven aus allen möglichen Blickwinkeln zu sehen, während ich mir meine Verteidigungsstrategie überlegte.
Ich war unbewaffnet und im Moment nicht besonders einfallsreich, aber neben mir stand ein voller Eimer mit eiskaltem Brunnenwasser, den ich mir schnappte und dem kreischenden Mädchen überkippte. Sie stieß einen lauten, schrillen Schrei aus und ließ das Messer fallen.
Ich riß der nächstbesten Statue die Staubplane herunter und wickelte die tropfende Schöne mit fest an den Körper gepreßten Armen darin ein.
»Gestatten Sie, Gnädigste, Ihre Stola ist wohl gerade nicht zur Hand …« Sie nahm mir das sehr übel, aber ich hielt sie eisern fest. Wir drehten uns in wildem Tanz durch den Raum, wobei mich die liebliche Rubinia mit Ausdrücken bedachte, die ich aus dem Mund einer Frau noch nie gehört hatte.
Das Atelier befand sich in einem hohen, scheunenartigen Gebäude und war nur von einer einzigen Kerze erhellt. Dunkle Steinsilhouetten ragten auf allen Seiten empor und warfen riesenhafte, beklemmende Schatten.
Leitern und Werkzeuge lagen im Weg, gefährliche Fußangeln für einen Fremden, der noch dazu ganz andere Dinge im Kopf hat. Aber Künstler sind nun mal keine ordentlichen Leute (zum einen verschwenden sie zu viel Zeit mit Träumen, zum anderen gucken sie zwischen ihren kreativen Schüben zu tief in die Amphore).
Ich schüttelte das Mädchen wütend, um es endlich zum Schweigen zu bringen.
Unterdessen hatte sich ein großer, bulliger Mann, der nur der gesuchte Bildhauer sein konnte, aus dem zerwühlten Bett in der entgegengesetzten Ecke des Raums erhoben. Auch er war splitternackt und hatte sich eben erst zu einer Schlacht ganz anderen Kalibers gerüstet. Er war nicht mehr jung und hatte eine Glatze, aber zum Ausgleich dafür einen buschigen Bart, so lang wie mein Unterarm. Mit seinem mächtigen Brustkasten machte er eine ganz schneidige Figur, als er jetzt, wüste Beschimpfungen
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