Poseidons Gold
deiner Geschichte läßt du aus!« Ich schreckte hoch und überlegte, was ich denn wohl Wichtiges vergessen haben könnte. »Das knackige Nacktmodell ist irgendwann einfach von der Bildfläche verschwunden.«
Ich lachte verlegen. »Ach so, die! Nein, nein, die war die ganze Zeit da. Als der Bildhauer ohnmächtig war, stellten wir sie vor die Wahl, sich entweder ruhig zu verhalten oder eingesperrt zu werden, wenn wir ihn aufweckten und ins Verhör nahmen. Sie zog es vor, weiter rumzuzetern, und da haben wir sie in den Sarkophag gesperrt.«
»All ihr Götter! Das arme Ding! Orontes wird sie doch hoffentlich bald wieder rauslassen dürfen?«
»Hmm! Ich will ja keine unzüchtigen Gedanken provozieren, aber ich hab doch den starken Verdacht, daß mein schrecklicher Erzeuger, sobald ihn das Theoretisieren über Kunst langweilt, versuchen wird, Orontes betrunken zu machen … Und dann könnte es gut sein, daß Geminus das Modell heimlich selbst befreit.«
Helena tat so, als könne sie sich unter unzüchtigen Gedanken nichts vorstellen.
»Und was nun, Marcus?«
»Du und ich und mein unternehmungslustiger Vater werden mitsamt dem Bildhauer und seinem knackigen Modell (falls er sie mitnehmen will) nach Hause fahren.« Ich seufzte erleichtert. »Ob Smaractus inzwischen wohl das Dach repariert hat?«
Helena schwieg. Vielleicht dachte sie ja darüber nach, wie es wohl sein würde, eine Kutsche mit Rubinia zu teilen. Vielleicht machte sie sich aber auch nur Sorgen um unser Dach.
Auch ich mußte über vieles nachdenken. Leider war nichts Aufheiterndes dabei. Irgend etwas mußte mir einfallen, womit ich Carus und Servia bestrafen konnte. Und ich mußte verhüten, daß wir den beiden eine halbe Million Sesterzen in den Rachen schoben, die wir ihnen von Rechts wegen gar nicht schuldeten. Um mich vor der Verbannung zu bewahren, mußte ich einen Mord aufklären, der immer unerklärlicher wurde. Und noch dazu mußte ich meiner Mutter beibringen, daß ihr geliebter Sohn, der Nationalheld, womöglich nicht mehr war als ein gescheiterter Entrepreneur, der vor fünf Jahren einfach deshalb eines langen Tages die Reise in die Nacht antrat, weil er dem Druck seiner vielen Verpflichtungen nicht mehr gewachsen war.
»Wie spät ist es?« fragte Helena unvermittelt.
»Jupiter! Was weiß ich? Mitten in der Nacht – wahrscheinlich schon morgen.«
Sie lächelte mich an, und dieses Lächeln hatte nichts mit dem zu tun, worüber wir die ganze Zeit gesprochen hatten. Das wußte ich, schon bevor sie leise sagte: »Na, dann herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Marcus!«
Mein Geburtstag.
Ich hatte natürlich gewußt, daß er vor der Tür stand; nur hatte ich geglaubt, daß außer mir niemand daran denken würde. Gewiß, Mama würde auf ihre spröde Art an mich denken, aber sie saß weit weg in Rom, und so war ich für diesmal um Nostalgie und Damaszenerpflaumenkuchen herumgekommen. Papa hat vermutlich nie gewußt, wann seine Kinder Geburtstag haben. Und Helena … vor einem Jahr war sie an meinem Geburtstag bei mir gewesen. Damals waren wir einander noch fremd und wehrten uns beharrlich gegen jedes Zeichen von Anziehung. Dennoch hatte ich mir zum Geburtstag was Besonderes gegönnt und sie geküßt … mit unerwartetem Ergebnis für uns beide. Von dem Moment an hatte ich mehr von ihr gewollt – ach was: Ich wollte einfach alles! Ich hatte etwas in Gang gesetzt, und es endete damit, daß ich mich in sie verliebte, während eine kleine, dunkle, gefährliche Stimme in meinem Innern mir zuraunte, es könne eine große Herausforderung sein, dieses unerreichbare Geschöpf zu erobern.
Ein Jahr war es her, seit ich sie zum ersten Mal in meinen Armen gehalten hatte, damals natürlich in der Annahme, sie würde mir nur dieses einzige Mal gestatten, ihr nahe zu kommen. Ein Jahr, seit ich diesen gewissen Blick in ihren Augen gesehen hatte, als ich es wagte. Ein Jahr, seit ich vor ihr davongelaufen war, weil meine Gefühle mich überwältigten und ich ihre mißverstand. Trotzdem hatte ich auch damals schon gewußt, daß ich diese Frau irgendwann wieder in den Armen halten mußte.
»Weißt du noch?«
»Aber ja!«
Ich berührte mit den Lippen ihr Haar und atmete ihren süßen, natürlichen Duft ein. Ohne mich zu bewegen, genoß ich es, wie sich ihr inzwischen so vertrauter Körper an mich schmiegte. Ihre Finger strichen über meine Schulter und malten dort Schnörkel, von denen ich eine Gänsehaut bekam. »Ein Jahr ist es her, und wieder sind wir
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