Poseidons Gold
Hintereingang. Allerdings standen fünf leere, umgestürzte Amphoren an der Wand neben dem armseligen Lager: offenbar durfte der Kellner – als eine Art Deputat – die Reste trinken, die die Gäste übriggelassen hatten. Vermutlich torkelte Epimandos an einem Abend mit gutem Umsatz sturzbetrunken ins Bett. Die Schlitzohren der Gegend wußten das vielleicht. Womöglich hatte er in der Mordnacht einen solchen Vollrausch gehabt, daß er den brutalen Kampf oben im Fremdenzimmer einfach nicht mitbekam.
»Versuch dich zu erinnern: Hast du in der Nacht irgendwelche verdächtigen Geräusche gehört?«
»Nein, Falco!« Er sagte das so bestimmt, daß ich unwillkürlich mißtrauisch wurde.
»Sagst du die Wahrheit?«
»Klar!«
»Ja, natürlich …« Aber glaubte ich ihm auch?
Inzwischen riefen die Gäste draußen schon ungeduldig nach Bedienung. Epimandos, der offenbar nicht schnell genug von mir und meinen Fragen wegkommen konnte, wollte sich geschmeidig an mir vorbeidrücken. Da schoß ich meinen schärfsten Pfeil ab.
»Wer hat eigentlich die Leiche gefunden, Epimandos? Du vielleicht?«
»Nein, die Wirtin, als sie bei ihm abkassieren wollte.«
Also existierte doch eine Wirtin! Ich war so perplex, daß ich den Kellner entwischen ließ und er sich um die Krakeeler draußen am Tresen kümmerte.
Kurz darauf verschwand ich durch den Hintereingang, eine aus alten Latten roh zusammengezimmerte Stalltür an rostigen Angeln, die auf eine Gasse voller Unrat führte: leere Pökelfischtöpfe und Olivenkrüge – hier draußen verrotteten, umwabert von entsprechenden Düften, ungefähr fünfzehn Jahre Leergut.
Jeder, der wie ich schon sein halbes Leben lang im Flora verkehrte, kannte diesen unverschlossenen und unverschließbaren Ein- und Ausgang, aber auch ein Fremder hätte ihn mit etwas Geduld und Phantasie leicht finden können.
Ich blieb kurz stehen. Wäre ich grade von der Leiche gekommen, hätte ich mich bestimmt heftig übergeben müssen, aber während der Befragung des Kellners hatte sich mein Magen wieder ein wenig beruhigt.
Ich drehte mich um und untersuchte die Stalltür sorgfältig auf Blutspuren, die der Täter beim Rückzug vielleicht hinterlassen hatte. Zwar konnte ich keine entdecken, aber gleich hinter dem Türstock in der Küche standen volle Wassereimer. Der Mörder hätte sich also leicht wenigstens die Hände waschen können, bevor er das Weite suchte.
In Gedanken versunken schlenderte ich zurück zur Hauptstraße. Als ich auf dem Heimweg am Vordereingang der Caupona vorbeikam, sah ich auf dem Gehsteig gegenüber, gleich vor dem Valerius, eine große Gestalt, die sich in den Schatten der Häuserwand duckte. Ich achtete nicht weiter darauf und ging weiter. Das finstere Individuum dort drüben war weder ein Räuber noch ein marodierender Zuhälter. Ja, ich hatte die wuchtige Statur auf den ersten Blick erkannt und wußte auch, was der Mensch dort vorhatte. Es war mein Freund Petronius Longus, der mich argwöhnisch überwachte.
Ich rief ihm ein spöttisches »Guten Abend« zu und ging weiter.
Der Versuch mißlang. Schon an der nächsten Ecke dröhnten Petros schwere Schritte dicht hinter mir. »He, nicht so hastig, Freund!«
Was blieb mir anderes übrig – ich mußte stehenbleiben.
Noch ehe ich ihn gehörig anschnauzen konnte, kam er mir in grimmigem Ton zuvor: »Die Zeit läuft ab, Falco!«
»Ich arbeite Tag und Nacht an dem Fall. Wieso schnüffelst du mir hinterher? Ich hab nur mal einen Blick in die Caupona geworfen.«
Immerhin hatte er soviel Anstand, nicht zu fragen, was ich dort wollte. Wir schauten beide zurück aufs Flora, wo die gleichen trüben Tassen wie jeden Abend am Tresen lehnten und sich über Nichtigkeiten stritten, während Epimandos die kleinen Lämpchen anzündete, die abends über der Theke aufgehängt wurden. »Ich frage mich, ob der Täter sich von der Straße aus gewaltsam Zutritt zum Zimmer des Legionärs verschafft haben könnte …«
Der Ton, in dem er das sagte, verriet mir, daß er das nicht für wahrscheinlich hielt. Ein prüfender Blick auf die Fassade des Flora machte klar, daß, solange das Lokal geöffnet hatte, niemand unbemerkt hochklettern konnte. Wenn zur Sperrstunde die Läden geschlossen wurden, blieben auf der Straßenseite bloß zwei tief zurückversetzte Fensterschächte über dem Schankraum, aber die waren nur mit einer Leiter zu erreichen, und selbst dann würde ein ausgewachsener Mensch sich nur mit Mühe durch eine so enge Luke zwängen können.
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