Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
… okay. Wegen dieser Horrorgeschichte mit der Leiche natürlich. Dass der Junge gleich dich anruft?!«
»Er hat Angst.«
»Du glaubst ihm das doch nicht etwa?«
»Warum glaubst du ihm nicht?«
Thalmeier hörte, wie Stifter kurz auflachte. Danach sprach er leiser, vermutlich war Noah irgendwo in der Nähe, und der Postbote wollte nicht gehört werden.
»Na hör mal: eine in eine Decke eingewickelte Leiche und zwei alte Menschen, die mitten in der Nacht ein Grab im Garten ausheben! Das ist doch Edgar Wallace at his best . Die Jungs hatten vielleicht schon was getrunken, oder geraucht …«
»Noah hat mir versichert, dass sie nüchtern waren, er und sein Freund«, unterbrach ihn Thalmeier.
»Wer’s glaubt.«
»Bloß weil es junge Burschen sind und es eine rechte Räuberpistole ist, heißt das nicht, dass nichts dran ist.« Thalmeier merkte, dass er ungehalten wurde. Er ärgerte sich darüber, dass Stifter sich partout weigerte, auch nur im Ansatz darüber nachzudenken, ob an Noahs Bericht ein Fünkchen Wahrheit sein könnte. Und das, obwohl er selber noch vor einer Woche Thalmeier von seinem verstörenden Erlebnis bei Mutter und Tochter Rechlin erzählt hatte.
»Ich muss mich sehr wundern«, hörte er Stifter jetzt sagen, »dass du als Polizist bereit bist, den Jungs die Geschichte abzukaufen. Wo du doch nur zu gut weißt, dass die Leute gerne aus einer Ameise einen Elefanten machen.«
»Wenn die Ameise eine Leiche ist, dann werde ich sehr wohl hellhörig.« Thalmeier streichelte Mizzi, der sich jetzt genüsslich auf den Rücken warf und ihm seinen pelzigen Bauch hinstreckte. »Im Übrigen lässt sich ein Teil der Geschichte ja ganz leicht überprüfen. Du schaust morgen mal, ob es diese Grube gibt. Wenn ja, gehen wir dem mal nach.«
»Wir?« Stifter schien alles andere als begeistert zu sein.
»Ich hab eh nix zu tun, ich kann ja kommen und schaue mir die Sache an. Du brauchst, wie gesagt, nichts weiter für mich tun, als nach der Grube zu sehen.«
»Wenn es die gibt, beweist das gar nichts. Bis zu diesem Punkt glaube ich Noah seine Geschichte ja«, räumte Stifter ein, »ich glaube auch an die Schubkarre. Aber nicht an die Leiche.«
»Und noch etwas glaubst du ihm: den alten Mann mit dem kranken Auge. Den konnte der Junge erstaunlich gut beschreiben. Und wir beide wissen, dass es diesen Mann gibt.«
Damit hatte Thalmeier ein Argument ins Feld geführt, gegen das Stifter nichts mehr einzuwenden vermochte. Er versprach dem alten Polizisten, sich anderntags nach dem »Grab« umzusehen, und lud ihn noch für Samstag auf Andreas’ Party ein. Dann legten sie beide auf.
Thalmeier sah auf die Uhr. Nun hatte er sich doch verspätet! Der Losinger Peter wartete bereits seit fünf Minuten am Bushäusel auf ihn. Sanft setzte er Mizzi auf den Boden, der sich mit einem Krallenschlag dafür revanchierte, und verließ das Haus. Er ging direkt über die abfallende Bergwiese vor seinem Haus ins Dorf, mit federndem Schritt und frohem Herzen.
*
Klaus lag zur Entspannung in der warmen Badewanne. Beate wärmte in der Zwischenzeit die Milch, um sich und ihrem Sohn einen heißen Kakao zu bereiten, und stellte dazu ein Schälchen mit Waffelröllchen auf den Tisch. Das Malefiz-Spiel war bereits aufgebaut, auch ein Teller mit geschmierten Broten, Cornichons und Sellerie aus dem Glas stand auf dem Tisch. Sie würden es sich heute gemütlich machen, hatte Beate beschlossen, und ihr schoss der Spruch »Glück ist in der kleinsten Hütte« durch den Kopf. Warum nach den Sternen greifen, dachte sie? Warum war Julius so anfällig für die Verheißungen von Volkmar und dann von diesem Heims gewesen? Das Geld, das sie gehabt hatten, war kein Vermögen. Es hätte nicht bis zu ihrem Lebensende gereicht, erst recht nicht, wenn einer von ihnen krank und ein Pflegefall geworden wäre. Aber Beate glaubte fest daran, dass sie die Fähigkeit hatte, auch mit wenig Geld kleine Oasen der Zufriedenheit zu schaffen. Ein warmer Kakao, eine Kerze, ein gemeinsames Spiel – mehr bedurfte es ihrer Meinung nach nicht, um glücklich zu sein. Sie war so erzogen worden, sie kannte es nicht anders. Aber Julius hatte das nicht gereicht. Sein Motor war es immer schon gewesen, mehr zu wollen als das, was er hatte. So war er gegen den Willen seiner Eltern aufs Lyzeum gegangen, hatte mit einem Stipendium Zahnmedizin studiert und sich auf Pump die Praxis aufgebaut. Dabei war es Julius nicht darum gegangen, im Luxus zu leben oder nach außen hin etwas
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