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Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland

Titel: Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Weber
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darzustellen, sondern vielmehr um die Befriedigung des eigenen Ehrgeizes. Julius wollte sich selbst beweisen, dass er zu mehr in der Lage war. Vielleicht gerade, weil er eigentlich ein weicher und labiler Mensch war, dachte Beate wehmütig. Seit sie heute Mittag in Frankfurt aus dem Zug gestiegen war, war sie davon überzeugt, dass Julius nicht mehr lebte. Der Gedanke daran hattesich auf der Zugfahrt zur Gewissheit verfestigt. Julius war zu Gudrun nach Lohdorf gefahren und dort war ihm ein Unglück geschehen. Denn da hatte das Böse auf ihn gelauert. Das Böse, das ihr leibhaftig in dem Gefangenen im Keller begegnet war. Nicht dieser Mann an sich war es gewesen, der ihr Angst gemacht hatte, aber die Tatsache, dass ihr eigener Mann fähig gewesen war, einem Menschen seine Freiheit zu nehmen. Ihn zu betäuben, zu entführen, in einen Keller zu sperren und ihn gefangen zu halten wie ein Tier. Dieser Moment der Erkenntnis war es, der Beate dazu gebracht hatte, mit ihrem Ehemann abzuschließen. Julius war tot, und er war in dem Moment gestorben, als sie den geschundenen Banker gesehen hatte.
    Sie hatte Klaus von der Werkstatt abgeholt, und auf dem Weg nach Hause im Bus hatte sie seine Hände gehalten und beschlossen, sich auf ein Leben einzurichten, in dem es nur sie und ihren Sohn gab. Sie bekam eine kleine Rente; wenn Julius für tot erklärt werden würde, kam vielleicht noch etwas Witwenrente dazu. Sie würden eine kleinere Wohnung nehmen und Sozialleistungen beim Amt beantragen. Darum würde sie sich nun kümmern müssen. Beate war zuversichtlich, dass sie es schaffen würde. Im Ausfüllen von Anträgen war sie gut, sowohl damals als Sprechstundenhilfe als auch in der Zeit, da sie wegen der Zuschüsse zu Klaus’ diversen Behandlungen, für die Therapien, Betreuer und Pflegehilfen, Antrag um Antrag ausgefüllt hatte. Sie würde das in Angriff nehmen. Gleich morgen würde sie sich an Julius’ Schreibtisch setzen, seine Unterlagen durchgehen und bei der Volkshochschule einen Computerkurs belegen, um sich mit dem Internet und dem Mailen, und was es da sonst noch gab, anzufreunden. Julius hatte das auch geschafft.Beate rief nach Klaus, damit dieser aus der Wanne kam, und ging zum Plattenschrank. Sie besaßen eine stattliche Sammlung an Vinylplatten. Klassik, aber auch Schlager und Chormusik waren darunter. Und natürlich eine große Sammlung von Operetten, ihre Lieblingsmusik. Sie kannte sie alle, und sie konnte beinahe jedes Lied mitsingen. Schon als Mädchen hatte sie die Operette geliebt, und wann immer im Stadttheater eine zur Aufführung gekommen war, hatte sie auf eine Karte gespart und war hingegangen. »Der Vetter aus Dingsda« war ihre Lieblingsaufführung gewesen, der Tenor, ein dunkeläugiger Jüngling, der ihr mit »Kindchen, du musst nicht so schrecklich viel denken – küss mich, und alles wird gut« monatelang den Schlaf geraubt hatte. Heute aber entschied sie sich für Carl Millöckers »Bettelstudent« – sie fand, dass dieses Singstück um betrogene Betrüger am treffendsten zu ihrer Situation passte. Sie besaß eine Platte von 1966, ein Geschenk ihrer Tante Traudl, mit den Berliner Symphonikern und Rudolf Schock. Die Aufnahme knisterte und knirschte, aber sie pflegte ihre Schallplatten sorgfältig und voller Hingabe und war stolz darauf, dass nicht eine einen Kratzer hatte.
    Während der Chor der Frauen erklang und Beate die heiße Milch auf das dunkle Kakaopulver und den Honig goss, dachte sie darüber nach, was sie wegen Julius unternehmen sollte. Sie brauchte ihn nun nicht mehr zu schützen, dessen war sie sicher. Julius lebte nicht mehr, und wenn, dann sollte er für seine Tat zur Rechenschaft gezogen werden. Sie würde die Polizei benachrichtigen und eine Vermisstenanzeige aufgeben.
    Klaus kam mit nass verstrubbelten Haaren und seinem karierten Schlafanzug ins Wohnzimmer und freute sich wie ein kleines Kind über das, was seine Mutter für ihn vorbereitethatte: Abendbrot, Kakao und ein Spiel. Aber dann trübte sich sein Blick, und er sah Beate irritiert an: »Papa?«, fragte er.
    Beate erklärte Klaus erneut, was sie ihm seit ihrer Rückkehr aus Bayern versucht hatte zu erklären: dass Papa auf einer Fortbildung war. Ein Seminar, das sich noch ein bisschen hinziehen würde. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, dass sie Klaus anlügen musste, und obwohl dieser sich damit zufriedengab, sah sie, dass er die Vorstellung, dass Julius länger weg sein würde, nicht mochte. Er hing an Julius und würde

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