Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
schuldbewusst. »Davon wusste ich nichts. Dass Sie hier sind.«
Er schwieg und versuchte, Wärme in seinen Blick zu legen. Möglicherweise gelang ihm ein Opferblick. Damit würde er sie in die Ecke drängen, sie musste Mitleid mit ihm empfinden.
»Meine Mutter …, vielleicht ist sie verrückt.«
Bingo, sie begann, sich zu entschuldigen. Jetzt war er wieder dran, auf sie zuzugehen. »Vielleicht ist sie das. Aber Sie wissen, warum ich hier bin? Warum sie mich gefangen hält?«, fragte er mit weicher Stimme – so gut er das jetzt vermochte,in seiner Verzweiflung.
Er würde mit offenen Karten spielen, das würde sie für ihn einnehmen. Sie schüttelte leicht den Kopf, und er merkte, dass sie durchaus eine Vorstellung hatte, aber es von ihmhören wollte. Damit sie wusste, ob sie ihm vertrauen konnte.
»Ich habe Ihre Mutter um ihr Erspartes gebracht. Eine Anlageberatung, die schiefgelaufen ist. Dann kam die Lehman-Pleite. Das Geld ist weg. Alles. Sie haben davon gehört?«
Die Frau vor ihm schüttelte erneut den Kopf, vehementer dieses Mal. »Davon verstehe ich nichts«, flüsterte sie.
Wie alt mochte sie sein? Mitte fünfzig? Er fragte sich, was sie für ein Leben hatte. Sie trug gepflegte Kleidung, war aber eine Säuferin. Sie strahlte aus, dass sie gutsituiert und gebildet war. Dennoch erschien sie unsicher und verängstigt. Diese Frau, das sah er auf den ersten Blick, ging nicht selbstsicher durchs Leben. Sie ließ sich leiten, von ihrem Mann, ihrem Boss, ihrer Mutter. Sie wollte an die Hand genommen werden, traf keine Entscheidung allein. Gut. Das war gut für ihn. Er würde sich das zunutze machen. Er würde sie bei der Hand nehmen und ihr zeigen, was zu tun war. Und er würde es so soft und subtil machen, dass sie dachte, sie hätte die Entscheidung ganz allein getroffen. Er würde ihr ein gutes Gefühl geben, und dafür würde sie ihm auf Knien danken.
Er war zufrieden. Natürlich war er vor allem enttäuscht, dass sie nicht die Retterin war, für die er sie gehalten hatte, aber mit den Aussichten war er doch zufrieden. Er hatte sich zwar eine Blöße gegeben, hatte geheult wie ein kleines Kind. Aber ohne dass er es gewusst hatte, hatte er sich damit den ersten Schritt in ihr Herz verschafft. Denn diese Sorte Frau, unsicher und labil, wollte doch so gerne verstanden werden. Sie liebten Männer, die Gefühle zeigten. Und was war er schon anderes als ein armes Opfer? Um ein Haar hätte er gegrinst, wenn es nicht so verdammt kontraproduktiv gewesenwäre. Er sah ihr noch einmal in die Augen und wendete als Erster seinen Blick ab.
»Es tut mir leid«, er senkte die Stimme, »Ihre Mutter ist nicht die Einzige, die alles verloren hat. Ich würde es rückgängig machen, wenn ich könnte.«
Sie stand auf. »Nein! Nein, dafür gibt es keine Entschuldigung! Sie hier unten festzuhalten, meine ich. Egal, was Sie gemacht haben.«
Unsicher ging sie rückwärts zur Tür, und er wusste, dass ihr Gespräch jederzeit zu Ende sein würde. Sie hatte Angst. Weniger vor ihm als vor der Situation. Sie brauchte einen Drink. Aber sie würde wiederkommen.
»Ich rede mit meiner Mutter. Das verspreche ich Ihnen. Und ich komme wieder.«
Damit schloss sie die Tür hinter sich.
Wäre er nicht so erschöpft gewesen, er würde den Triumph genießen, als hätte er einen guten Deal gemacht. Denn er wusste jetzt mit Gewissheit, dass die schräge Frau sein Ticket in die Freiheit war.
*
Just in dem Moment, als Georg Thalmeier sich den Janker überstreifte, um zu seinem Schafkopfabend nach Kreuth aufzubrechen, klingelte das Telefon. Er zögerte, ob er abheben sollte, aber da er so selten Anrufe bekam und dieser obendrein von einer Münchener Nummer war, siegte die Neugier.
»Thalmeier.«
»Äh … ja, hier ist Noah.«
Thalmeier brauchte ein bisschen Zeit, den Namen einzuordnen, aber als er begriffen hatte, wer am anderen Ende der Leitung sprach, ließ er sich überrascht auf der hölzernen Bankin der Diele nieder. Mizzi, der schon unruhig um seine Beine gestrichen war, weil er ahnte, dass Thalmeier in Kürze das Haus verlassen würde, ergriff die Gelegenheit beim Schopf und sprang behände auf seinen Schoß.
»Ah! Der Noah. Da schau her.«
»Ich hoffe, ich störe Sie nicht?«
»Nein, nein. Gar nicht.« Thalmeier sah auf die Uhr. Er war notorisch überpünktlich. Selbst wenn er erst in zehn Minuten losgehen würde, käme er noch pünktlich. Der Losinger Peter nahm ihn mit seinem Auto mit, verabredet waren sie an der Bushaltestelle
Weitere Kostenlose Bücher