Postbote Stifter ermittelt 02 - Oberland
immer wieder fragen. Während Klaus würfelte und den ersten Spielzug tat, malte sich Beate aus, was passierte, wenn sie Julius als vermisst meldete. Die Polizei würde ins Haus kommen. Alles auf den Kopf stellen, Befragungen durchführen. Und sie würden auch mit Klaus sprechen, mit seinem Betreuer und den Leuten aus der Werkstatt. Wollte sie ihrem Sohn das zumuten? Außerdem käme dann mit Sicherheit heraus, dass sie Klaus bei seinem Betreuer gelassen hatte und nach Lohdorf gefahren war. Dann würde sich die Polizei natürlich dafür interessieren, warum sie nach ihrem Mann gesucht, aber die Polizei nicht sofort eingeschaltet hatte. Diese Unruhe, die Fragen und all das wollte sie aber nicht in ihrem Leben haben und erst recht nicht in dem von Klaus. Es musste einen anderen Weg geben.
Beate nahm eine der weißen Barrieren vom Spielbrett und versetzte sie nach weiter oben. Dorthin, wo sie Klaus nicht ernsthaft blockieren konnte. Sie ließ ihn immer gewinnen. Vielleicht war es besser, überlegte sie, die Polizei suchte nicht direkt nach Julius. Dann könnte sie, wenn man auf sie kam, immer noch behaupten, ihr Mann habe sich für ein paar Tage von ihr und ihrem Sohn verabschiedet und seitdem nichts von sich hören lassen. Wenn sie sich unwissend stellte, würdeman sie und Klaus vielleicht in Ruhe lassen, ihr lediglich ein paar Fragen stellen. Und sich dagegen intensiver mit Gudrun von Rechlin beschäftigen. Vielleicht würde die Polizei dann auch herausfinden, was mit Julius passiert war. Dies alles konnte sie mit einem einzigen Anruf bewerkstelligen. Sie müsste sich nur eine Telefonkarte besorgen, ihre Abscheu überwinden und zu einer dieser Telefonsäulen gehen, um die Polizei zu verständigen. Ihnen mitteilen, dass ein gewisser Hans Günter Heims entführt worden war. Anonym natürlich. Beate würfelte eine Sechs und warf eine von Klaus’ Spielfiguren vom Feld. Klaus sah sie entsetzt an und war nah daran, in Tränen auszubrechen, aber sie lächelte ihn an, nahm seine Hand und beruhigte ihn. »Alles wird gut, Kläuschen. Du wirst sehen, du gewinnst trotzdem.« Klaus nickte besänftigt, würfelte, und Beate summte mit Oberst Ollendorf: »Ach, ich hab sie doch nur auf die Schulter geküsst.«
15.
Erneut ging die Sonne glutrot unter, und Gudrun stand am Küchenfenster und beobachtete die Häuser und Gärten. Für die Schönheit des Naturschauspiels hatte sie heute keinen Sinn. Die Situation von gestern wiederholte sich, und sie hatte das Gefühl, dass sie diese Sache niemals würde beenden können. Harald schlief wieder, natürlich. Sie war enttäuscht von ihm. Er redete kaum noch mit ihr, und manchmal spürte sie, dass er sie heimlich musterte, sein Blick war spöttisch bis feindselig. Auch sie war seiner überdrüssig. Es ging ihr nicht schnell genug, nichts verlief so, wie sie es geplant hatte. Sie seufzte. Warum waren die Männer in ihrer Umgebung so schwach? Warum Harald? Sie hatte über siebzig Jahre auf ihn gewartet, ihn geliebt und in ihrem Herzen getragen. In ihren Augen war er ein großer, starker und strahlender Held gewesen, und sie hatte sich nichts sehnlicher gewünscht, als mit ihm zusammen sein zu können. Noch vor vier Nächten schien dieser Traum in Erfüllung gegangen zu sein. Glücklich, überglücklich war sie gewesen, als er sie berührt hatte. Aber nun hatte sie genug von ihm. Harald gab ihr das Gefühl, dass sie nichts richtig gemacht hatte in dieser Entführungssache, mit ihrer Tochter, letztlich: in ihrem Leben. Aber was konnte sie dafür, dass Julius gestorben war? Und dass diese Buben in ihren Garten eindrangen? Volkmar das Geld verjubelt hatte? Und ihre Tochter ein Wrack war?
Gudrun von Rechlin wandte sich vom Fenster ab und machte sich ein kleines Abendbrot zurecht. Harald sollte selber sehen, wie er klarkam. Er versorgte sich auf seinem Hof in Ungarn schließlich auch allein, sie würde ihn nicht länger verwöhnen. Vielleicht würde er dann schneller wieder fahren, wenn sie ihn weniger bediente. Gottlob, dachte sie, war Annette so ein schwacher und labiler Mensch. Sonst hätte sie ein weniger leichtes Spiel gehabt, nachdem Annette erfahren hatte, dass sie einen Mann im Keller gefangen hielt. Kaum hatte Annette sie vorhin in der Küche zurückgelassen, hatte sie sich mühsam aufgerappelt. Harald hatte ihr nicht aufgeholfen, er hatte sich demonstrativ von ihr abgewandt und war ins Schlafzimmer zurückgegangen. Sie hatte sich eine kalte Messerklinge auf die Stelle am Hinterkopf
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