Postkarten
durch das offene Fenster im ersten Stock. Wenn sie die Steine hörte, käme sie vielleicht die Treppe herauf und ans Fenster.
»Komm schon! Komm!« Er pfiff. Sie hörte zu bellen auf. Wally lag auf der Hupe und ließ den Motor des Lasters aufheulen. Er rief etwas, das Loyal nicht hören konnte. Die Hündin war am Fenster.
»Komm, Little Girl. Spring! Spring. Komm schon!« Sie wollte nicht. Er sah ihre schwarzen Vorderpfoten auf dem Fenstersims, hörte sie jaulen, dann ließ sie sich wieder auf den Boden zurückfallen und verschwand. Der Laster kroch jetzt die Straße entlang, verschwand im Rauch und tauchte wieder auf, während Wally mit der Faust auf die Hupe hämmerte. Ein brennender Bohnenstengel mit Blatt flog vorbei und fiel auf der anderen Seite des Hauses zu Boden. Loyal rannte zum Pritschenwagen und rief dabei nach Little Girl.
Er hatte die Beifahrertür geöffnet und stand auf dem Trittbrett, als Wally scharf bremste.
»Ja, Donnerwetter! Das wäre ja eine Schande, wenn ich sie jetzt noch überfahren würde, was.«
Die Hündin war in der Fahrerkabine, zitterte und wedelte mit dem Schwanz wie ein Scheibenwischer.
»Die ist aus dem Rauch geflogen, als wäre sie mit einer Schleuder abgeschossen worden.« Der alte Mann trat das Gaspedal durch, und der Wagen kam in Fahrt. Loyal wandte den Kopf und blickte zum Rückfenster hinaus, aber sie waren schon drei Kilometer weiter östlich, bevor er das Haus in Feuer und Rauch aufgehen sah. Seine Hand lag beruhigend auf dem Nacken der zitternden Hündin. Abgebrannt bis auf einen Jeep und einen Hund. Nicht einmal Kleider zum Wechseln.
»Ja, ein Mann lebt von der Hand in den Mund, und dann so was«, stimmte Wally an. »Ich nehme doch an, Sie waren irgendwie versichert, Mr. Blood, oder?«
Da gab’s nicht viel zu sagen.
35
Was ich sehe
Eine zischelnde Gopherschildkröte, die schrillen Pfiffe, die Nadeln, Blut, Blut, der unbesiegte Häuptling Billy Bowlegs, die Seminolen tanzen, in karmesinrote Westen und glitzernde Umhänge gewandet, noch immer den Green-Corn-Tanz. Spielen auch ein bißchen Cowboy, tuckern mit propellerbetriebenen Flachbooten durchs Riedgras, ködern Touristen mit bunten Perlen aus Taiwan und Alligatorkämpfen. Glanzlose schwarze Augen schauen zurück.
Während Dub bei einem Tagesausflug durch den Grünen Sumpf stakt, Palas offenes Haar schimmernd vor sich, ihren Bruder Guillermo - Bill -, den Mann der Tat, hinter sich, spürt er das Kanu durchs teefarbene Wasser gleiten, sieht das von schillernden Gasblasen durchbrochene Wasser, das Muster der schachbrettartigen Rücken und Holzknorrenaugen von Alligatoren, Schwärme von Silberreihern, die zwischen den toten Bäumen auffliegen. Er atmet den fauligen Modergeruch und das grüne Licht ein, das hängende Moos, die über die Fahrrinnen gespannten Spinnweben. Orchideen. Er schaudert noch immer beim Anblick der fleischigen Blüten in seinem Fernglas. Die klagenden Rufe der Krähen unter langgezogenen Wolkenschichten, die geplättetem schwarzem Leinen gleichen. Bill schlägt nach den Moskitos.
»Pala, gefällt es dir?« Er muß es hören.
»Ja. Es ist wunderschön und sehr seltsam.« Sie dreht sich um und lächelt, in ihrem Haar haben sich Moskitos verfangen.
»Ich muß schon hundertmal hier gewesen sein.«
In der roten Wildnis der Landerschließung ist dieser Sumpf noch er selbst. Einmal hat Dub einen Panther fauchen hören. Hier gibt es keine Männer in mangofarbenen Strandhosen, keine Frauen mit weit aufgesperrtem Mund, keine Bulldozer, Schaufelbagger oder Phantasien in Plastik. Er hat die jahrelangen geheimen Verhandlungen mitgemacht, die Treffen in Motels, bei denen die Investoren als Handelsvertreter oder Umwelt- und Landschaftsplanungsstudenten auftraten. Das Reedy-Creek-Erschließungsgebiet. Disney World soll es heißen, wenn es fertig ist. Teure Plastikscheiße, denkt er. Augenzwinkernd sagt er sich jedoch: Tausend Dank.
Später kehren sie in die gefährliche Stadt zurück, schieben sich die Fernstraßen entlang, zurück zum Geruch nach Kaffee und süßlichen Zigarren, zu dem gelben Zeichen »BARRA ABIERTA«, den bunten Lichtern, dem kräftigen Geruch von Steaks mit geröstetem Mais. Auf den Straßen sieht Dub die Parade farbenfroher Kleider, goldener Ketten mit Anhängern aus Münzen. Über der Stadt ein Wolkenfächer wie karmesinrote Messerschneiden, auf dem Boden Gehsteige aus Marmor. Er kommt an einem Schaufenster vorbei, darin ein alter Grammophontrichter, in dessen Kehle künstliche
Weitere Kostenlose Bücher