Postkarten
Purpurwinden stecken. Das mag ich, denkt er, das Gekreisch von Düsenjets, die mit Blumengirlanden geschmückten Statuen, die in Raten bezahlten, mit rosa Neonlichtern beleuchteten Heiligen in den Vorgärten und die Blitzlichter der Touristen, Schaufenster voll Tritonshörner, die primitiven Tresen und Schrumpfkopfimitate, die Fischkörbe, die bemalten Stoffe und die flippige Musik, die wilden Kerle, die Deals und den Dreck, die wegbrechenden Strände, das Gefühl, an einem fremden, tödlichen Ort zu sein. Zu Hause.
Dieser finstere Stadtteil, die hitzigen Slums von Liberty City, Overtown und Black Crove. Ja, er mag sogar die teuflischen Unruhen, die ausbrechen, als würde ein Geschwür aufplatzen, schreckt nicht vor den Fotos blutüberströmter Leichen zurück. Das in Körperöffnungen gestopfte stinkende Geld, die Straßenmusik und das Straßenessen verblassen, eingeblendet werden cremefarbene Frauen mit dunklem Haar und Händen, die in mit Opalen besetzten Handschuhen stekken, und Männer, die handgefertigte Schuhe tragen und in deren braungebrannten Gesichtern Freude oder Wut zuckt; auch wenn er schaute, bis er schielte, konnte er nicht alles aufnehmen, was es zu sehen gab.
36
Schrotflinten
»Sie haben’s jetzt genau zurückgelenkt«, sagte Doffin. »Das ist der Wind. Der Wind springt herum wie ein angestochenes Schwein.« Die Hündin ließ Loyal nicht aus den Augen. Sie lag unter dem Tisch und schmiegte sich an sein Bein. Nach dem Abendessen führte sie Doffin, der gekrümmt wie ein alter Reiter ging, ins Wohnzimmer, damit sie sich das Feuer im Fernsehen anschauen konnten. Loyal sah, wie klein der Brand aus der Luft wirkte, ein paar hundert Hektar in der riesigen Ebene. Die Telefonleitungen schwangen sich durch die Landschaft. Auf dem Boden hatte es gewirkt, als würde die Welt in Flammen stehen, flutende Flammen, die der Wind bis Kanada oder Mexiko treiben konnte. Der Sprecher sagte, sechzehn Höfe seien zerstört worden. Ein Maisfarmer, der in einer Stunde ein Jahreseinkommen verloren hatte, tauchte mit einer Schrotflinte vor dem Krankenhaus auf und rief nach dem verbrannten McDonald’s-Manager. Es wurde eine verschwommene Aufnahme des Farmers gezeigt, der in Handschellen in den Wagen des Sheriffs stieg.
Doffin goß Loyal und sich selbst zitternd etwas zu trinken ein. Sein ausgedörrtes Gesicht war schwarzrot verbrannt, die Augen glühten.
»Sie können gern hierbleiben, Mr. Blood, bis Sie wieder auf die Füße kommen.« Das gedrungene Glas in der Hand des alten Mannes. »Schrotflinten. Von den Schrotflinten hier in der Gegend kann ich Ihnen Geschichten erzählen, bis der Uhr die Zeiger abfallen.« Der Rahmen der großen Couch bestand aus geschälten Zedernstämmen, die Sitzkissen waren mit Kuhfell überzogen. Der Lampenschirm warf ein Licht wie ums Lagerfeuer, wenn alle bereit sind, Geschichten zu hören. Mrs. Doffin saß ein Stück entfernt. Ihre dürren Beine ragten unter dem Rock hervor, waren an den Knöcheln gekreuzt wie die Knochen auf einer Piratenflagge, die Hände waren ruhig, nachdem das Ritual des Kaffee-Einschenkens beendet war; sie nickte zu allem, was gesagt wurde.
Auch Loyal nickte. Er hatte immerhin das Land. Er konnte den Grund verkaufen und fortgehen. Einen neuen Wagen kaufen. Vielleicht einen VW-Bus, den er ausbauen konnte, wäre wie ein Häuschen auf Rädern. Verflucht, er konnte überallhin. Alaska. Kalifornien.
»Ich könnte Ihnen was von Schrotflinten erzählen, schlimme Sachen, Ihnen den Kummer beschreiben, den sie angerichtet haben, aber ich seh’s inzwischen mehr als eine Art Angewohnheit, wissen Sie, als wär’s eine ganz gute Art, mit einem verpfuschten Leben aufzuräumen. Früher nannte man es zeitweilige Unzurechnungsfähigkeit, aber ich war immer der Meinung, daß so ein Verhalten angesichts der Umstände von beträchtlicher Klarsicht zeugt. Natürlich nicht immer, aber meistens. Die Familie meiner Frau hat diesen Weg nicht selten beschritten.« Mrs. Doffin nickte. Ihre knochigen Hände lagen still auf den mit blauem Stoff überzogenen Armlehnen des Sessels.
»Ihr Vater. Großvater. Ein Onkel. Und es fallen mir noch mehr ein. Alle Farmer oder zumindest die meisten.«
»Das stimmt.« Sie klopfte ein paarmal mit dem Zeigefinger ihrer rechten Hand auf den Stoff. »Ich hab’ meinen Vater gefunden. Ich war erst siebzehn. Durch den Schock war ich eine Woche blind, hat meine Mutter erzählt. Ich kann mich nicht daran erinnern.«
»Ein Rancher oder Farmer, Mr. Blood,
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