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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Kräfte rasch und widerstandslos nach?
    »Was meinst du, Ray?«
    »Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht. Es sieht nicht besonders gut aus, Liebling. Aber wir müssen weiterhin die Daumen drücken. Vielleicht sitzt sie bei irgend jemandem im Gästezimmer. Mach dir keine unnötigen Sorgen.«
    »Ray. Sie sitzt bei niemandem im Gästezimmer.« Er sagte nichts, sondern schlang seine langen, festen Arme um sie, zog sie an sich, so daß ihr Ohr gegen seine bloße Brust drückte. Sein Herzschlag pochte, seine Brust hob und senkte sich mit seinem warmen Atem, ein schläfriger Vanillegeruch ging von ihm aus.
    »Ach, Ray, ich weiß nicht, was ich machen würde...« Und in der süßen Umarmung stellte sie sich Jewell im Schneegestöber vor, einen Arm steif nach vorn ausgestreckt, den anderen auf die Brust gelegt, als wollte sie sich einen Pfeil aus dem Hals ziehen. In ihrem Haar knisterte Schnee und wehte in ihre kalte Ohrmuschel.
    »Ray, die arme Ma«, schluchzte sie. Und er streichelte und streichelte das feine Haar, bis es in der Dunkelheit aufflog, seiner sich senkenden Hand entgegen.
    Am Vormittag lag die Temperatur bei minus fünfundzwanzig Grad. Der Schnee trieb dahin wie zischende Messerschneiden. Um sieben Uhr war mit dem ersten Licht ein Suchtrupp aufgebrochen. Mernelle rief Dub in seinem Büro in Florida an. Die Verbindung war schlecht, als würde sich Eis in den Leitungen bilden.
    Sie saßen auf Plastikstühlen im Büro des Einsatzleiters, zu einer Untätigkeit verurteilt, die zum Verrücktwerden war. Bemühten sich, die verschlüsselten, knisternden Nachrichten zu verstehen. Männer gingen ein und aus. Der Raum dampfte vor Kälte. Die Luft stank nach Rauch. Ray dachte an zu Hause, an die Rohre unter der Spüle, die langsam ersterbende Wärme im Haus.
    »Es hat keinen Zweck, daß wir beide hier warten. Sie könnten einfrieren. Wie wär’s, wenn ich zurückfahre und mich um die Rohre kümmere, und du bleibst hier. Ich komm’ wieder, sobald ich kann. Und wenn sie eine Spur finden, rufst du mich an, dann komme ich sofort.«
    Am nächsten Tag bei glitzernder Kälte kam Ray zurück, aber sie hatten sie nicht gefunden, und am dritten Tag schneite es erneut. Die Suche war zu Ende. Mernelle und Ray saßen in der erhitzten Luft des Autos und starrten zu der Tankstelle, wo Jewells orangefarbener Käfer abgestellt war - am Boden eingebeult, ohne Auspufftopf, mit angetrocknetem Schlamm und voller Ölspritzer. Während der frische Schnee das schmutzige Blech überzog, sagte Mernelle, sie werde den Wagen nie wieder fahren sehen.
    »Diese Familie«, sagte sie. »In dieser Familie haben alle die Angewohnheit zu verschwinden. Alle sind verschwunden außer mir. Und mit mir geht sie zu Ende.«
    »Sag das nicht, Liebling. Vielleicht haben wir ja noch Glück.«
    »Das Glück ist schon lang aufgebraucht, Ray. Die Bloods haben kein Glück mehr, seitdem Loyal sich aus dem Staub gemacht hat. Verflucht sei er, schickt ungefähr einmal im Jahr eine verdammte Postkarte, läßt uns aber nie wissen, wohin wir ihm schreiben können. Ist dir klar, daß er nicht mal weiß, daß Pa tot ist? Er weiß nichts vom Stall oder was mit Pa passiert ist. Er weiß nicht, daß Ma in den Wohnwagen gezogen ist oder daß wir zwei seit fast zehn Jahren verheiratet sind oder daß Dub reich in Miami sitzt. Er weiß nicht, daß Ma verschwunden ist. Schickt seine blöden Bärenpostkarten. Wie viele solche Bären müssen wir uns noch ansehen? Wie kommt er darauf, daß ich was von ihm hören will? Seine blöden Postkarten sind mir egal. Was jetzt? Sollen wir in jede Zeitung im Land eine Meldung setzen: ›An alle. Jewell Blood auf dem Riddle Mountain in New Hampshire im Schnee vermißt. Kann ihr ältester Sohn, der seit zwanzig Jahren fort ist, zu Hause anrufen?‹ Soll ich das tun? Wenigstens weiß ich, wo ich Dub erreichen kann. Wenigstens kann ich ihn anrufen. Ich hab’ eine Adresse. Ich muß nicht auf eine Postkarte warten.«

IV

40
    Die Gallenblasen von Schwarzbären

    Jetzt hatte er es heraus; es gab bestimmte Straßen und Wege durchs Land, auf denen er unterwegs sein konnte, aber wesentlich mehr Straßen waren ihm verschlossen. Auf Dauer verschlossen. Er war mittlerweile darin geübt, wenig zu brauchen und zu wollen. Das ungesicherte Gerüst seines Lebens beruhte auf Vergessen. Er war sparsam mit dem Essen, dünn, allein, rastlos. Sein Haar war größtenteils weiß geworden. Und er ging verdammt schnell auf die Sechzig zu.
    Cowboybars waren seine Wohnzimmer,

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