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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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gläsern.
    Im Wohnzimmer setzte Ray sich in seinen ledernen Fernsehsessel, Mernelle auf das mit goldfarbenem Tweed bezogene Sofa, dessen spitz zulaufende Beine sich in den zottigen Teppich bohrten. Auf dem Couchtisch aus glattem karamelfarbenem Holz befanden sich ein glänzender Teller mit Minzkonfekt, ein Stapel Ausgaben von Lumberyard Review, Motorboat und Reader’s Digest. Das Furnier der Vertäfelung war mit Zitronenöl poliert. Überall im Zimmer hingen geprägte Messingrahmen mit Fotos von herbstlichen Szenen. Ihnen gegenüber stand am Ende des Zimmers auf einem Tisch der Fernsehapparat.
    Neben dem Sofa eine Vitrine mit Mernelles Bärensammlung: Bären aus Glas, Keramik, Holz, Bakelit, Plastik, Pappmaché, ein glasierter Teigbär aus Italien, ein Strohbär aus Polen, ausgestopfte Stoffbären, Bären aus Steinen und Zweigen und ein metallener Spieldosenbär mit einer Kurbel im Rücken, der »Home on the Range« spielte. Sie wußte nicht, warum sie sie sammelte. »Ach, da hab’ ich was zu tun,’ne Art Hobby. Ich weiß nicht, mir gefallen sie einfach.« Ray brachte ihr von überall her Bären mit, von den Holzkonferenzen in Spokane, Denver, Boise, aus anderen Ländern, aus Schweden, ja sogar Puerto Rico und Brasilien. Gewissermaßen sammelte er sie; sie stellte sie in den gläsernen Fächern auf. Sie mußten ihr gefallen. Sie gefielen ihr.
    Ray schaltete den Fernseher ein. Das blaue Viereck blähte sich ihnen entgegen, und gebeugte Gestalten tanzten durch heftigen Schneefall. Die Bilder bannten ihre Aufmerksamkeit wie Flammen in einem Kamin. Um halb neun ging Mernelle in die Küche, um Ovomaltine zu machen und den Kuchen anzuschneiden, der noch warm war wie schlafendes Fleisch. Sie stellte die Dessertteller, weiß mit blauen Rändern und goldenen Blättern, auf das Tablett, goß die rosa getönte Ovomaltine in die dazu passenden Tassen. Gegen das Geräusch des Sturmes ließ sie das Porzellan hell scheppern, die silbernen Löffel klingen. Im Wohnzimmer räumte Ray das Tischchen leer, breitete das gelbe Tischtuch darüber. Behutsam stellte sie das Tablett ab. Sie sahen sich die flimmernde Geschichte an, das Klappern der Gabeln gedämpft von Streuseln und Sahne. Der Anblick seiner leeren Knie gab ihr einen Stich. Wenn sie Kinder gehabt hätten, hätten sie sie jetzt zu Bett gebracht. Ray hätte ihnen Gutenachtgeschichten erzählt. »Es war einmal ein kleines Mädchen, das lebte auf einer Farm oben auf einem hohen, hohen Hügel. Es hieß Ivy Sunbeam Mac Way, allen und jedem besser bekannt als Sunny. Sogar am Sonntag.«
    Gegen Ende der Sendung klingelte das Telefon. Ray streckte sich. Seine spitzen Ellbogen spannten die karierten Hemdsärmel.
    »Wenn das einer von der Mühle ist...«
    »Ich geh’ schon, Ray. Du solltest in so einer Nacht nicht raus.« Die schwarze, strömende Nacht. Sie ging zwar ans Telefon, aber er stand auf, stellte sich in die Tür und horchte. Die blechernen Stimmen im Fernseher versanken in düsterer Musik. Eine rauhe Stimme: »...Ich bin Polizist... hab’ tagsüber Dienst...«
    »Ja, ja.« Mit der nervösen, fragenden Stimme, die Behörden vorbehalten war. Jemand nannte ihr eine Adresse. Sie hörte zu, machte ein Zeichen, daß sie Stift und Papier brauchte. Er stellte sich neben sie und sah zu, wie sie eine Nummer aufschrieb, die Wegbeschreibung zu einer Stadt, die hundertfünfzig Kilometer entfernt in den Bergen lag. »Sie ist zweiundsiebzig, war früher stämmig, ist aber jetzt dünner, vielleicht eins fünfundsechzig groß, da bin ich mir nicht sicher. Sie ist kleiner als ich. Sie trägt eine Brille.« Sie horchte auf die junge Stimme. »Ich hab’ gestern nachmittag ein paarmal versucht sie anzurufen, aber sie nicht erreicht. Um wieviel Uhr? Tja, da bin ich mir nicht sicher, aber es hatte gerade angefangen zu regnen. Vielleicht so um drei. Hab’s heute morgen wieder probiert. Sie ist ziemlich viel unterwegs, darum hab’ ich mir nichts dabei gedacht. Ja. Ja, ich kann ein Foto von ihr mitbringen, das letzten Herbst aufgenommen wurde. Ray und ich fahren gleich los.« Nachdem sie aufgelegt hatte, wunderte sie sich, daß ihre Hände nicht zitterten, sie preßte sie auf die Augen, ließ die Arme dann kraftlos sinken, sog durch die Zähne Luft ein.
    »Das war die Polizei von New Hampshire. Jäger haben hoch oben an einer Holzfällerstraße Mas Auto gefunden. Scheint ein, zwei Tage dort gestanden zu haben, denken sie - es liegt Schnee drauf, und es sind keine Spuren drum herum. Bei ihr geht

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