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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Haus her, das so hoch aufragte. Nach dem Sturm rutschten große, sechs Meter lange Eisplatten das Blechdach hinunter und krachten beim Fallen gegen das Haus. Glas splitterte. Der Wind bog die Bäume um, zerrte an den verzweigten Ästen, bis sie Eisrinden abwarfen. Die mit Eis behangenen Kiefern duckten sich wie Hunde. Die Fallen waren vereist. Er sah einen Kojoten auf dem glänzenden Eis rutschen, die stumpfen Klauen nutzlos, und das Tier spürte seine Belustigung, war gedemütigt.
    Er mochte die hellen, silbrig gefleckten Kojoten der Hochebenen und trockenen Gebirgszüge und die rötlichbraunen Kojoten der Wüste. Das klügste Tier auf der ganzen Welt, sagte er immer in den Kneipen. Keiner stritt es ab.
    »Einmal kannst du ihn drankriegen, aber zweimal kriegst du ihn nicht dran.«
    »Mensch, ein Kojote kann die Abgase von deinem Wagen hundert Meter gegen den Wind riechen, noch drei Tage nachdem du vorbeigefahren bist. Verflucht, die haben Adleraugen und sind schlau genug, dir eine sarkastische Nachricht auf dem Boden zu hinterlassen.« Der Barmann wußte alles über Kojoten. Am Ende der Theke hörte ein kleiner Cowboy mit kojotenfarbenen Koteletten zu.
    »Sie fressen alles. Wirklich alles: Wassermelonen, Gras, Weizen auf dem Halm, Schoßhündchen, Grashüpfer, Regenwürmer, Stinktiere. Sie fressen Stinktiere, wußtet ihr das?« Der Barmann legte sich ins Zeug, sein Mund schnappte nach den Worten. »So ein Kojote, der frißt eine Klapperschlange. Und er frißt sie auch noch, wenn sie ihn schon gebissen hat. Das Gift schert ihn nicht. Er frißt Rinde und Laub, Kaktusfeigen, die Stacheln und alles, Wacholderbeeren, wenn’s sonst nichts gibt. Er frißt Vögel, Eier, Mäuse, Ratten, Eichhörnchen, Präriehunde, Gabelantilopenkitze, Eiche, Rotwild, alte Sandwiches, Wassermelonen, Abfall. Er holt sich Kaninchen. Er frißt Frösche, und er frißt Enten, er frißt große Reiher und kleine Käfer. Er holt sich Kälber und Lämmer, und wenn du wissen willst, wo die Fasane und Wachteln geblieben sind, dann darfst du dreimal raten, wer sie gefressen hat. Und der alte Kojote, der frißt seine eigenen Jungen, wenn er Gelegenheit dazu hat. Der Kojote hat die Jagd ruiniert.«
    Der kleine Cowboy sprach aus dem Mundwinkel. »Ja, ich hab’ gehört, es gab überhaupt kein Wild, als das Land noch den Indianern gehört hat und der Kojote sein Unwesen treiben konnte.«
    »Ja, das stimmt«, erwiderte der Barmann, ohne hinzuhören. »Du fängst an, in einer Kojotenpopulation kräftig Fallen zu stellen, und sie fangen an, sich kräftig zu vermehren. Du fängst an, in den sandigen Trockenbetten Fallen zu stellen, und sie ziehen auf den harten Ortstein, wo du nie eine Spur siehst. Du beschießt sie aus der Luft, und sie graben überall Löcher, und sobald sie ein Flugzeug hören, sind sie verschwunden, oder sie jagen zu Zeiten, wenn kein Flugzeug fliegt. Mister, das ist eine zähe Brut, die Mörderbande des Westens.«
    Kojote, kleiner Wolf der Ebenen, dachte Loyal.
    Er sah jenseits des gefräßigen Appetits und des schlauen Verstandes die in Bewegung befindliche Welt der Kojoten, die ihre Reviere absteckten, die verliebt waren, buhlten, Familien aufzogen, Wettkämpfe austrugen, einander besuchten. Kojotenreviere wie Nationen. Fast dreißig Jahre lang hatte er ihren jaulenden Reden gelauscht und meinte, etwas von ihrer Sprache zu verstehen. Er wußte, warum ein Kojote nachts zu den Heulplätzen rannte.
    Auf neuem Gelände zog er mit Landkarten und dem Buch des Indianers los, trug die Duftmarken ein, schrieb die Wege auf, verfolgte die Spuren in Trockenbetten, im dünnen Gestrüpp. Es gab Seiten voller Notizen über die Sommer- und Winterreviere bestimmter Kojotenklans, denen er seit Jahren nachstellte. Das Buch des Indianers drehte sich inzwischen größtenteils um Kojoten: Spuren, Stellen, an denen sie scharrten, Exkremente. Er klaubte Kojotenlosung auf, schaute, was darin war, die sämige rote Kaktusfeige, die von Haaren steifen Fäkalien, den dunklen Fleischkot, die Panzer von Käfern. Das Töten bedeutete ihm nichts; es war im Nu geschehen.
    Auf Jack Sagines Land hatte er durchs Fernglas Kojoten auf sandigem Boden beim Herumtollen wie auf einem großen Spielplatz beobachtet. Die jungen Kojoten sprangen jaulend und bellend über das niedrige Gestrüpp und kugelten sich. Sie galoppierten mit hängenden Zungen, Augen, die gelb und heiß vor Aufregung waren, schlitterten durch Sandfontänen. Ein blasser Kojote grub sich wie ein Dachs in den

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