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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Räson zu bringen. Von der Schauspielerei hatte er nicht die geringste Ahnung. Filmstars waren damals kleiner, dafür hatten sie größere Köpfe. Das ist mein Hobby, die alten Filmcowboys. Vor zwei Jahren hab’ ich mir fast alle im Fernsehen angeschaut. Ich war an’n gutes Stromnetz angeschlossen. Hab’ mir den Fernseher da gekauft.« Er deutete in die Ecke. »Hab’ mich vorher nie für Filme interessiert. Aber ich will euch was sagen, ich könnt’ jetzt bei so’ner Quizsendung mitmachen. J. Warren Kerrigan in Covered Wagon, Antonio Moreno in The Trail of the Lonesome Pine und The Border Legion, Mensch, ich kenne viele von ihnen. Tom Mix in allen Filmen, die er je gedreht hat. Wißt ihr, wer immer so steif und aufgeblasen dastand wie die alten Jungs? Mussolini. Zweiter Weltkrieg. Wie die alten Filmcowboys. Wißt ihr, was an ihnen noch komisch ist?« Sie warteten, bis sich der Hustensturm gelegt hatte, bis er wieder Atem geschöpft und sich die feuchten Augen gewischt hatte. »Wo ihre Taille ist. Sie haben alle ihre Taille hier oben, haben die Hosen raufgezogen, rauf bis zur Brust, deswegen wirken ihre Körper kürzer. Ich rede von Stummfilmen. Die kriegt man in Kinos nicht zu sehen. Ich schau’ mir The Bearcat jedesmal an, wenn ich die Gelegenheit dazu hab’. Les’ die Fernsehprogramme. Manchmal gibt’s Filmfestivals, darum les’ ich die Zeitungen. Ich hab’ den Hut hier, den ich in der Hand halte, in dem Film auf dem Kopf von Hoot Gibson gesehen. Ist ein komisches Gefühl, im Fernsehen einen Hut zu sehen, der einem gehört. Es ist, als wäre der Kerl tot, der Hut aber noch am Leben.
    Der Grund, warum ich meine Sammlung nicht versichern lassen kann, ist der, daß ich nirgends bleibe. Ein paar Monate hier, dann zieh’ ich weiter. Ich muß immer weiterziehen. Hab’ meinen Anhänger, meinen Wagen, meine Hündin, ich find’ überall Arbeit, weil ich nicht zuviel Stolz hab’. Ich fahr”nen Müllwagen. Ich zimmere. Ich baue euch eine Mauer oder eine Hundehütte oder ein Observatorium. Ich bin aber nicht in der Sozialversicherung. Hab’ nie einen Pfennig eingezahlt, nie einen Pfennig rausbekommen. Hab’ mich auf meine Art durch dick und dünn geschlagen.« Paula wirkte halb eingeschlafen, lehnte an der Wand. Auf ihren Knien funkelten silbrig Fischschuppen.
    »Auf die Weise hab’ ich gute Hüte gekriegt, nicht aus dem Müll, sondern weil ich Leute gefragt hab’: ›Habt ihr alte Hüte, von denen ihr euch trennen wollt?‹ Auf die Weise hab’ ich die Skimütze gekriegt. Der Mann von’ner Dame ging die Straße in Dog Boil, Manitoba, entlang, wo ich mal zur Weizenernte war. Der Mann war auf dem Weg zur Eisenwarenhandlung, um sich Fensterkitt zu holen. Da rollte im Hotelzimmer von einem Geologen, der nach Öl suchte, Vulkangestein vom Fensterbrett und traf den Mann am Kopf. Die Mütze hier hat ihm das Leben gerettet. Wenn ihr mich anschaut, würdet ihr nicht glauben, daß ich ein Observatorium bauen kann, was?« Aber Kosti und Paula waren müde. Sie hatten den ganzen Tag Holz gehackt, und jetzt senkte sich der Schlaf über sie wie ein betäubender Zauber.
    An einem Samstagabend waren sie wieder mit einem Kuchen aus grünen Tomaten da. Er schmeckte ein bißchen wie Apfelkuchen, aber das liege an den Gewürzen, sagte Paula. Er enthalte die gleichen Gewürze, Zimt und Nelken. Grüne Tomaten hätten keinen Eigengeschmack. Der Mann mit dem Hut stellte Kaffeewasser auf, Paula holte ihre Flasche mit Tee aus Ananaskraut und getrockneten Erdbeerblättern heraus. Ein Gesundheitstrunk.
    »Das größte Problem beim Bau eines Observatoriums ist«, sagte der alte Blood, »wo man es hinstellen soll. Es gibt Dinge, an die würdet ihr nicht im Traum denken. Es soll nicht in die Nähe einer großen Stadt oder auch bloß eines Einkaufszentrums. Lichtverschmutzung, dreckige Luft. Man muß eine Stelle finden, wo’s nachts wirklich dunkel ist. Wie hier. Gibt nicht mehr viele Stellen, wo’s stockdunkel ist. Ich hab’ früher draußen in der Prärie geschlafen, hab’ die Sterne gesehen. Straßenlampen, Gartenlichter, Hofbeleuchtung, alle werfen sie ihr Licht nach oben gegen die Flugzeugbäuche. Machen den Himmel kaputt.« Er hustete. »Das wär’ eine gute Stelle für ein Observatorium.« Paula blickte auf das schwarze Fenster, das von innen durch einen feuchten Film getrübt war.
    »Aber mit einem dunklen Flecken fängt’s erst an. Da könnte jeder Idiot draufkommen.« Er rutschte mit seinem Stuhl näher, schaute ihnen

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