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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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zuckende Licht, um die Tür beobachten zu können. Er schlich sich hinter sie und legte ihr seine kalte Hand auf den Nacken.
    »Mein Gott! Damit kannst du einen ja umbringen! Warum hast du so lang gebraucht - als ob ich’s nicht wüßte.« Ihre braunen Haare waren zu einem Knoten gedreht, der aus seinen Halterungen gerutscht war und tief in ihren Nacken hing. Ihr Mund war mit Lippenstift zu einem harten karmesinroten Kuß nachgezogen. Sie trug ihr Sekretärinnenkostüm mit der dazugehörigen Rüschenbluse. Ihre kleinen Augen waren von einem klaren Krickentenblau mit Fransen aus sandfarbenen Wimpern. Ihr flaches Gesicht und ihr winziger Busen ließen sie schwach und verletzlich wirken, und dieses Trugbild gefiel Dub. Er wußte, daß sie zäh war wie eine Eiche, eine gepflegte, zähe kleine Eiche.
    »Warum ich immer so lang brauche: Ich muß melken, mich waschen, den Lkw in Gang kriegen, hierherfahren. Wir sind erst spät mit dem Melken fertig geworden. Normalerweise ist mir das egal, aber heut abend wär’ ich fast verrückt geworden, weil ich wegwollte. Er hat’s einfach rausgezogen, glaub’ ich. Was für eine verflucht hoffnungslose Scheiße.«
    »Hast du’s ihm gesagt?«
    »Nein, hab’ ich nicht. Er wird die Wände hochgehen. Ich will sicher sein, daß alle Schießeisen weggesperrt sind, bevor ich’s ihm sage. Er ist’n bißchen durchgedreht, als Loyal Leine zog, aber er wird bestimmt völlig plemplem, wenn ich verlauten lasse, daß wir uns zusammentun und fortziehen.«
    »Es wird kein bißchen leichter, je länger du’s rausschiebst.«
    »Es geht nicht bloß darum, es ihm zu sagen. Ich kann mich nicht absetzen, bevor ich nicht weiß, daß er’nen Weg findet, die Farm abzustoßen. Verkaufen sollte er sie meiner Meinung nach. Dann muß ich’n bißchen Knete kriegen. Wirkliche Knete. Es ist ja okay, wenn wir davon reden, daß wir wegziehen und ich die Klavierstimmerausbildung mache und so, aber ohne Geld läuft nichts, und ich hab’ keins.«
    »Es läuft immer aufs Geld raus. Am Ende reden wir immer über Geld. Immer.«
    »Geld ist das große Problem. Er redet nicht viel, aber ich weiß ganz genau, daß er mit der Hypothek und den Steuern weit im Verzug ist. Er sollte verkaufen, aber er ist so verflucht stur, daß er nicht will. Wenn ich davon anfange, sagt er: ›Ichbin-auf-der-Farm-geboren-auf-der-Farm-sterbe-ich-die-Farmist-das-einzige-von-was-ich-Ahnung-hab’.‹ Verdammt, wenn ich’s Klavierstimmen lernen kann, kann er was anderes lernen. Mit einer Bohrmaschine umgehen oder so. Willst du ein Bier? Was Spritziges? Einen Martini?« Seine Stimme atemlos, voll, komisch.
    »Ach, ich trink’ lieber einen Gin mit Ginger Ale.« Sie schob den Knoten hoch und befestigte das rutschende Knäuel mit einer weiteren Haarnadel.
    »Leid tut mir bloß Mernelle. Sie rennt nach oben in ihr Zimmer und weint, weil sie nichts Anständiges zum Anziehen hat. Sie ist aus allem rausgewachsen. Neulich mußte sie eins von Mas Kleidern in die Schule anziehen. Kam heulend heim. Ich hab’ ein schlechtes Gewissen, kann aber nichts machen. Ich weiß, wie sie sich vorkommt, wenn die Kinder auf ihr rumhacken. Gemeine, kleine Drecksbande.«
    »Das arme Kind. Hör mal, ich hab’ ein paar Kleider und einen Rock und’nen Pullover, die sie kriegen kann. Einen schönen grünen Kaschmirpullover und einen braunen Kordrock.«
    »Süße, sie ist fünfzehn Zentimeter größer als du und ungefähr zwanzig Pfund dünner. Da liegt der Hase im Pfeffer. In den letzten Monaten ist sie unglaublich in die Höhe geschossen.’ne Bohnenstange. Wenn sie bloß die Bremse einlegen könnte.«
    »Uns wird schon was einfallen. Sie kann nicht in Jewells Kleidern zur Schule, das arme Kind. Übrigens, ich hab’ eine Überraschung für dich.«
    »Hoffentlich’ne gute.«
    »Ich glaub’ schon.« Ihre roten Lippen hinterließen Abdrücke auf dem Rand des Glases. »Doktor Willy hat heute vom Eisenbahn-Expreßdienst eine Postkarte bekommen. Das Ding ist da.«
    »Was ist da?«
    »Du weißt schon. Du weißt, was ich meine. Das, wofür du gemessen wurdest.« Ihr Gesicht lief rot an. Sie konnte es nicht aussprechen, nicht einmal nach zwei Jahren als Sekretärin und Sprechstundenhilfe des Arztes. Nicht einmal nach sieben Monaten, in denen sie mit Dub im Lkw gesessen hatte, in den Moskitos, Abgase, Spritzwasser und die Beine lähmende Kälte eindrangen, während sie sich küßten und hunderterlei Fluchten und Zukünfte planten - alle ohne Farm.
    »Ach ja, du meinst

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