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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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wohl den tollen Arm. Die Prothese. Meinst du das?«
    »Ja.« Sie schob das rotgefleckte Glas von sich weg. Sie konnte es nicht leiden, wenn er so zynisch war.
    »Oder ist es ein Haken, ein großer, glänzender, rostfreier Stahlhaken? Ich hab’s vergessen. Ich weiß nur, daß meine Freundin Myrt sagt, ich muß so ein Ding haben, aber nicht aussprechen kann, was ich haben muß.«
    »Marvin. Red nicht so«, sagte sie leise.
    »Red nicht wie? Darf ich nicht ›Haken‹ sagen? ›Prothese‹?« Seine Stimme dröhnte über den Tanzboden. Er sah Trimmer am Tresen, ihre Blicke trafen sich, und Trimmer fuhr sich mit der Hand über die Kehle. Mit einemmal fühlte er sich besser und fing zu lachen an. Er zog die Zigarettenschachtel aus seinem Hemd und schüttelte eine Zigarette heraus. »Du brauchst nicht verlegen zu sein, Süße, ich sag’s auch nur ungern. Prothese. Hört sich an wie’ne bösartige Giftschlange. ›Er wurde von einer Prothese gebissen.‹ Drum hab’ ich immer noch keine und nichts dagegen unternommen. Hab’s nicht aussprechen können. Auf, Mädel, ein breites, süßes Lächeln für den Schafskopf. Ich sag’ dir was, kleines Mädel, ein paar Monate nachdem es passiert war, bin ich nach Rhode Island getrampt, wo du dir so was anpassen lassen kannst, den Haken, glaub’ ich, aber ich konnt’ nicht reingehen. Es war mir zu peinlich, reinzugehen. Ich sah das Mädel am Empfang sitzen und konnt’ einfach nicht zu ihr hin und sagen -«
    »Dub. Wie geht’s?« Der wuchtige alte Trimmer, fleischig und breit, mit langen Unterhosen, die unter seinem schmutzigen rotkarierten Hemd hervorsahen. Er stank nach Benzin und Öl, nach Pferd, Körpergeruch und selbstgedrehten Zigaretten. Mit seinem schweren Lidschlag zwinkerte er Myrt zu und schnalzte mit der Zunge, genauso wie er seinem Gespann Schlittenpferden zuschnalzte.
    »Trimmer. Wie läuft’s?«
    »So verflucht gut, daß ich’s nicht aushalte. Ich such’ hier nach’n bißchen Kummer, um meinen Frohsinn und Überschwang zu dämpfen, und da schau’ ich durch den Raum und seh’ euch beide sitzen und einander anstarren. Da haben wir sie, die wahre Liebe, denk’ ich, ist nur’ne Frage der Zeit, bis sie ihn zur Tür rausschmeißt. Dub, ich würd’ später gern mit dir reden, wenn du kurz Zeit hast.«
    An beiden Seiten der Bühne gingen Scheinwerfer an, deren Strahlen sich in der Mitte kreuzten und die schmutzigen Mikrophonkabel und das blaue Schlagzeug beleuchteten. Ein Mann mit zurückweichendem Haaransatz und spitzen Teufelszähnen kam heraus, gekleidet in ein taubenblaues Jackett. Er hielt ein verbeultes Saxophon in der Hand. Dann schoben sich zwei alte Männer in schmierigen taubenblauen Jacketts auf die Bühne, der mit dem Red-Pearl-Akkordeon humpelte, und der Dicke mit dem Banjo schlurfte. Angewidert blickten sie in den Vorraum neben der Bühne. Rauch wirbelte auf. Kurz darauf sprang ein minderjähriger Junge in brauner Hose und gelbem kunstseidenem Hemd ans Schlagzeug; in seinem Mundwinkel hing eine brennende Zigarette. Zur Begrüßung spielte er einen Wirbel, und aus dem Mikrophon ertönte die hohle Stimme des Saxophonisten. »Guten Abend, meine Damen und Herren, willkommen im Gasthaus Zum Kometen. Wir wollen uns heute abend ein bißchen amüsieren. Die Sugar Tappers spielen zu Ihrem Tanz- und Hörvergnügen. Wir fangen an mit ›The too Late Jump‹.«
    »Bin gleich wieder da, mein Junge. Erst müssen Miss Myrt und ich den Dorftrotteln zeigen, wo’s langgeht.«
    Als sie auf die Tanzfläche gingen, rief Didion: »Paßt auf, jetzt fliegen die Fetzen!« Howard kam ans Ende des Tresens, um zuzusehen. Der Schlagzeuger setzte mit einem Sperrfeuer harter, scheppernder Trommelschläge ein, und einer nach dem anderen zockelten die Männer in den taubenblauen Jakketts hinter ihm her, das Saxophon klang zuerst dumpf, steigerte sich dann zu einer Reihe von Quietsch- und Kreischtönen.
    Myrtle und Dub standen kerzengerade da wie Reiher, einander gegenüber, und nur Dubs hochgereckte Hand bewegte sich, wackelte, flatterte wie ein Stück Stoff im Wind. Mit einem Zulusprung ging er auf Myrtle los, wirbelte sie unter seinem Arm herum, bis ihr Rock abstand wie ein dunkler Kelch, dann fing er an, sie abwechselnd an sich zu ziehen und wieder wegzustoßen. Ihre Lackschuhe glänzten wie Eis. Die übrigen Tänzer gingen auf Abstand, machten ihnen Platz. Dub schlug so kraftvoll aus wie ein Pferd. Die Schweißtropfen flogen ihm vom Gesicht. Hinter Myrtle ein Regen aus

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