Postkarten
Sevins.
Mernelle schwitzte in ihrem wollenen Schneeanzug, als sie unten am Hügel ankam. Die Gemeindestraße war gepflügt und leer, der Schnee von Reifen- und Kettenabdrücken durchfurcht. Das Postauto, ein alter Ford Sedan, hinten abgesägt und mit einer Ladefläche und Seiten aus Brettern versehen, hinterließ eine klar erkennbare Spur. Man konnte ihn schon von weitem kommen hören, weil die losen Kettenglieder klirrten und klapperten. Mernelle wußte im voraus, daß der Briefkasten leer war, das enttäuschende Knarren der Scharniere, wenn die Reifenspuren auf der Mitte der Straße verliefen, ohne abzuweichen.
Normalerweise ging sie den Weg ganz hinunter, stellte sich etwas vor, vielleicht einen geheimnisvollen, an ihren Vater adressierten gelbbraunen Umschlag, und wenn er ihn mit seinem alten schmutzigen Brieföffner aufschlitzte, würde ein grüner Scheck über eine Million Dollar auf den Tisch fallen.
Es war Post da. Loyals Farm Journal , das weiterhin kam, obwohl er fort war, ein Flugblatt zu einer Viehversteigerung, eine Postkarte für ihre Mutter, auf der der Mann von Watkins’ seinen Besuch für die erste Februarwoche ankündigte. Unten hatte er hingekritzelt: »Bei entsprechendem Weter.« Noch eine Bärenpostkarte für Jewell mit Loyals Handschrift, die so klein war, daß man sich beim Lesen ärgerte. Auch für sie war eine Postkarte da, das dritte Mal in ihrem Leben, daß sie Post bekam. Sie zählte nach. Die Geburtstagskarte von Miss Sparks, als Loyal mit ihr ging. Der Brief von Sergeant Frederick Hale Bottum. Und diese Karte.
Sie hatte ihrer Mutter nicht erzählt, daß Sergeant Frederick Hale Bottum geschrieben hatte, sie solle ihm ein Bild schikken, einen Schnappschuß »in einem süßen zweiteiligen Badeanzug«, schrieb er, »wenn Sie einen haben, aber ein Einteiler ist auch recht. Ich weiß, daß Sie süß sind, weil Sie einen süßen Namen haben. Schreiben Sie mir.« Sie schickte ihm ein Badeanzugbild ihrer Cousine Thelma, das sie in der Speisekammer aus der Blechbüchse gekramt hatte, in der sich Briefe und Fotos wellten. Thelma war auf dem Schnappschuß vierzehn, ihre Arme und Beine wie Bohnenstangen. Sie kniff die Augen zusammen, sah mongolisch aus. Der Atlantik war flach. Es war ein dunkelbrauner Badeanzug, von Tante Rose selbstgenäht. Wenn er naß war, hing er schlaff herunter wie alte Haut. Auf dem Foto war er naß und sandig.
Auf dieser Postkarte war hinter giftgrün bemoosten Bäumen ein Gebäude mit weißen Säulen zu erkennen. »Ein altes Herrenhaus im Süden.«
Der Hund rannte auf der geräumten Straße hin und her, scharrte mit den Krallen, raste bis zur Kurve, machte auf der
Stelle kehrt, wirbelte dabei Schnee auf und raste zu Mernelle zurück. Seine Ausgelassenheit paßte dazu, daß sie eine Postkarte bekommen hatte. Vor dem Schnee wirkte sein Fell gelb. Der Pflug hatte den Schnee weit zurückgeschoben und in zwei Stufen geschichtet, bereit für die Februar- und Märzstürme. Dabei hatte er Tausende von Zweigen und Blättern hochgeschleudert wie Stücke von Fledermausflügeln. Der Hund raste wieder davon, diesmal um die Kurve.
»Komm wieder her. Ich geh’ heim. Der Milchlaster wird dich überfahren.«
Aber sie ging selbst bis zur Kurve, einfach weil es angenehm war, nach gut zwei Kilometern Stapfen die feste Straße unter den Füßen zu spüren. »Juniata Calliota Homa Alabama«, sang sie. Der Hund wälzte sich in dem frisch aufgewirbelten Laub, fegte mit dem kreisenden Schwanz darüber. Er sah sie an.
»Komm schon«, sagte sie und schlug sich mit der Hand auf den Schenkel. »Gehen wir.« Als er mutwillig von ihr fort Richtung Dorf lief, machte sie ohne ihn kehrt, die Post in der Manteltasche. Sie war schon fast am Durchlaß für den Bach, dessen Wasser gefroren war, als er sie einholte. Er hatte ihr etwas gebracht, wollte es aber nicht hergeben, wie ein Kind, das ein Geburtstagsgeschenk zu einer Party mitbringt. Sie entwand es seinen nassen Kiefern. Es war ein Damenschuh mit einem Riemen, blaßlila, fleckig und voll Laub, die Seide naß, wo der Hund sie im Maul gehabt hatte.
»Hund. Schau, Hund!« Mernelle holte aus, um den Schuh zu werfen, tat nur so. Die Augen des Hundes leuchteten im Jagdfieber. Er erstarrte, beobachtete ihre Hand mit allen seinen Sinnen. Sie warf den Schuh, und er achtete darauf, wohin er fiel, dann stürzte er sich auf der Suche nach dem Gewinn in den Schnee. So ging es den ganzen Nachhauseweg über, und beim letzten Mal warf sie ihn aufs Dach
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