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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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ertönte ein schreckliches Gekreisch.
    »Ziehen Sie mich rauf, ich steh’ auf ihm drauf!« rief Mrs. Nipple, aber bevor Jewell sie erreichen konnte, sanken Mrs. Nipple, die Pumpe und das Spülbecken auf Rollo.
     
    »Der kleine Kerl ist grün und blau, aber er kommt durch«, sagte Dub beim Abendessen. »Man sollte glauben, daß er plattgedrückt wurde, als die Ladung auf ihn niederging, aber anscheinend brach sie ganz langsam durch, anstatt runterzukrachen, und die alte Dame ging sozusagen in die Knie, als sie landete. Darum ist er mit einem blauen Auge davongekommen. Die alte Dame hat’s schlimmer erwischt als ihn. In ihr stecken verrostete Nägel wie in einem Nadelkissen. Im Krankenhaus wollten sie sie ein, zwei Tage dabehalten, aber davon wollte sie nichts wissen.«
    »Wenn ich mir überlege, daß trotz der stolzen Haushaltsführung alles vermodert war«, sagte Jewell. »Das kann einem eine Lehre sein.« Ihre Brille, deren Gläser fleckig und beschlagen waren, lag auf dem Tisch. Sie rieb sich übers Nasenbein, wo die fleischfarbenen Stege zwei ovale rote Abdrücke hinterlassen hatten.
    »Wie ist er da überhaupt runtergekommen?« fragte Mernelle und erinnerte sich an das Heulen und Greinen, an Mrs. Nipple, die hinten in Ronnies Auto lag, die blutigen Knie gegen das Fenster gedrückt, während auf dem Vordersitz das Baby in Doris’ Schoß brüllte und Ronnie »Aus dem Weg mit euch« rief, als er die Straße entlangraste.
    »Ist runtergekrochen. Sie meinen, daß er unter die Verandastufen gekrabbelt ist bis zu einer Stelle unter der Veranda, wo er nicht mehr umdrehen konnte, und weil ihm nie jemand beigebracht hat, wie man rückwärts krabbelt, mußte er immer weiter, aber weiter als bis zur Wasserleitung unter der Sommerküche ging’s nicht. Vergiß das nie, Mernelle, bring deinen Babys immer das Rückwärtskrabbeln bei.«
    »Red du nicht so schlau über Babys und Krabbeln. Ich weiß noch, wie du den ganzen Weg bis zur Straße durch den Dreck gekrabbelt bist, anderthalb Kilometer, und dann warst du zu dämlich, um zurückzukommen«, sagte Jewell.
    »Nein«, erwiderte Dub. »Zu dämlich, um weiterzukrabbeln.«

11
    Zeckenkraut

    Mit von der Beerdigung geröteten Augen beugte Ronnie sich vor und stellte den Porzellanhund in die Tischmitte wie auf einen Ehrenplatz. Das dunkle Feuermal auf seinem Kinn war tiefrot, als hätte es auf einem Teller zerdrückter Heidelbeeren gelegen.
    »Als sie merkte, daß es zu Ende geht«, nuschelte er Mernelle durch seine verschwollenen Lippen zu, »hat sie gesagt, daß du den bekommen sollst. Sie hat gesagt, dein Hund war auf der richtigen Spur, als er an der Verandatreppe schnüffelte. Es wäre vielleicht alles anders gekommen, wenn jemand auf den Hund geachtet hätte, sagte sie.« Er schob den Hund mit dem Zeigefinger ein Stückchen weiter. Dann drehte er sich um und ging hinaus zu seinem Wagen.
    Auf dem Fensterbrett rasselte Loyals Wecker. Alle sahen den Porzellanhund an. Sein lebloses Gesicht und sein unmöglicher rosaroter Glanz klagten an. Mrs. Nipple, die wortlos erklärte: Wenn ihr nur darauf geachtet hättet, was der Hund euch zeigen wollte, wäre ich jetzt noch am Leben und nicht in einem verschlossenen Sarg begraben, weil mir die Blutvergiftung das Gesicht schwarz gefärbt hat.
    »Ich bezweifle, daß der Hund was anderes geschnüffelt hat als fremde Hundepisse«, sagte Mink. Er tätschelte Mernelle zweimal die Hand. Es war seine erste zärtliche Geste, seit sie Mumps gehabt hatte und sie so benommen und fiebrig gewesen war, daß er sie die Treppe hinauf ins Bett getragen hatte. Jewell stellte den Hund hinter ein paar leere Einmachgläser in der Speisekammer.
     
    Am Nachmittag ging Mernelle hinüber zu den Nipples. Im unteren Teil der Farm lag eine Wiese, auf der das alte Haus gestanden hatte, ehe es abgebrannt war. Dem Blumengarten waren ein paar Mädchenaugen entkommen und hatten sich dreißig Jahre lang ungehindert ausgebreitet, bis sie ein, zwei Hektar minderwertigen Boden bedeckten. Mrs. Nipple hatte Zeckenkraut dazu gesagt.
    Die Blumen blühten jetzt, ein wogendes Meer gelber Rispen, Mernelle watete durch die Wiese, hinterließ eine Spur abgeknickter Stengel. Sie stellte sich ungefähr in die Mitte und sah sich selbst als einen Fleck in der schwankenden gelben Landschaft, dachte an Mrs. Nipple, die nie wieder am Zeckenkraut vorbeifahren würde, nie wieder neben Ronnie auf dem Beifahrersitz sagen würde: »Das ist ja ein herrlicher Anblick.«
    Mernelle blickte zum

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