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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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Klamotten rum. Im Club 52. Du solltest mal reinschauen und mich singen hören. Mir sagen, was du davon hältst. Ich geb’ dir’nen Tip. Ich bin verdammt gut, und ich werd’s noch zu was bringen.«
    In Otts Stall ging das Licht an.
    »Bist du verheiratet, Loyal? Hast wohl’n halbes Dutzend Gören, eh?«
    Er wollte einen Witz machen, sagen: »Nein, bis jetzt hab’ ich Glück gehabt«, aber er konnte es nicht.
    »Nein. Und du?«
    »Nein. Ich wäre es fast, aber es hat nicht sollen sein. Bin gerade noch davongekommen.«
    Und Jewell und Mrs. Nipple rauschten auf sie zu, winkten dem Knäuel von Frauen auf der Veranda, von denen einige sich noch immer in die Mäntel mühten, und riefen ade, ade.
    Aus irgendeinem Grund hatte sie sich ihn ausgesucht.
     
    Während er im Krankenhausbett lag, mußte er zurückdenken. Zuerst hatte er das Buch des Indianers durchgesehen und die Gedanken an zu Hause verbannt, aber während er döste, beständig in einen schmerzlichen Schlaf fiel und wieder aufschreckte, kamen ihm Bilder von der Farm wie riesige Werbetafeln auf der Straße der Alpträume entgegen, und er konnte nicht vom Weg abbiegen und ihnen entrinnen.
    Er war auf Rebhuhnjagd, als ein Schneesturm hereinbrach. Er war einem Vogel gefolgt, hatte ihn immer wieder aufgescheucht und die Orientierung verloren. Die Tannen schluckten das Licht. Der Schnee verwischte Orientierungspunkte, weißte den Habichtsfelsen. Er wußte nicht, wo er war, umklammerte die alte Flinte mit steifen Händen.
    Am Rande eines unbekannten Sumpfes stieg er auf höher gelegenes Gelände, schlug sich durch dorniges Gebüsch, vorbei an Ahornbäumen, die einen Durchmesser von drei Metern hatten und abgestorben waren bis auf die beharrlichen Baumkronen. Der Schnee trieb durch das tote Laub. Er stieß auf einen Bachlauf, folgte ihm aufwärts aufs schwindende Licht zu und gelangte zu einem Stacheldrahtzaun, verrostet und an ein paar Stellen von Baumfallen unterbrochen.
    Der Zaun war Minks Werk, die vier Stränge, einer mehr als üblich, die vertrauten flachen Krampen stammten aus der Tonne im Stall. Das Gefühl, auf seinem Grund, zu Hause zu sein, durchflutete ihn. Dem Zaun zu folgen war ein Kinderspiel. Er erkannte das Waldstück, sobald er es erreicht hatte, sogar im Halbdunkeln und witterte den Rauch des Apfelholzes aus der einen knappen Kilometer entfernten Küche.
    Im Krankenhausbett stellte er sich der unsichtbaren Landschaft entgegen, dem Ozongeruch des frischen Schnees auf seiner Wolljacke - dem letzten Licht und dem Geruch nach Schnee.
    Sein Blut, Urin, Kot und Samen, Tränen, Haarsträhnen, Erbrochenes, Hautschuppen, Milch- und Kinderzähne, Finger -und Zehennägelschnipsel, alle Ausdünstungen seines Körpers steckten in diesem Boden, waren Teil dieses Ortes. Mit seiner Hände Arbeit hatte er die Gestalt der Landschaft verändert, die Wehre im steilen Graben neben dem Fahrweg, der Graben selbst, die ebenen Wiesen waren Echos seiner selbst in der Landschaft, denn die visionäre Kraft des Landarbeiters bleibt bestehen, nachdem die Arbeit getan ist. Die Luft war geladen mit seinem Atem. Das Wild, das er geschossen hatte, der Fuchs in der Falle, sie waren gestorben, weil er es beabsichtigt hatte und dazu beauftragt war, und ihre Abwesenheit in der Landschaft war eine Veränderung, die er herbeigeführt hatte.
    Und Billy.
    Die letzte Begegnung mit Billy lief wieder ab wie ein zerkratzter Film, der in einem defekten Projektor abgespielt wird. Ein Bild vibrierte, die Bäume im Wald oberhalb der Wiese stürzten endlos im zitternden Licht.

13
    Was ich sehe
    Jewell im Mai, die einen Korb mit nasser Wäsche zur Küche hinaus, über die matschige Einfahrt in den Hof trägt. Die Wäscheleine hängt schlaff, verknotet, dort steht eine nackte Stange, der Wäscheklammerbeutel schaukelt wie ein Wespennest.
    Sie hängt die Overalls und die Arbeitshemden auf, blickt auf ihre kaputten Hände, dann auf die abgenutzte Szenerie, die immer gleichen abfallenden Wiesen, die Zäune im Osten, die gezackten Berge, das gleiche, was sie stets sieht, seitdem sie vor dreißig Jahren ihre erste Wäsche hier aufgehängt hat. Im Weichselkirschbaum hüpfen Vögel die Zweige entlang, waschen sich mit dem nassen Laub. Der Regen hat den Stall molassefarben nachgedunkelt; an der Wand des Milchraums lehnen ein paar Geräte. Im Fenster hängen Spinnweben und Spreu. Krähen krächzen durch den Wald und schubsen flügge gewordene Junge aus dem Nest. Ihr fällt wieder die ältliche

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