Postkarten
sie, eine zarte Farbe, die sie an Krickentenflügel erinnerte, und in diesem Augenblick sah sie den Pullover vor sich, als Ganzes, schwimmende bunte Enten vor einem dunklen Hintergrund, und alle paar Maschen würde sie hinter den Enten Rohrkolben einstricken.
»Das war das Garn von der alten Mrs. Twiss, ist im Juli gestorben, und die Familie will ihr ganzes Zeug aus dem Haus haben«, platzte die Frau heraus. Sie hatte ein ausladendes Kinn und sprach mit besorgter Stimme, als würde sie beten. »Zur Hälfte machen wir den Basar bloß, um ihr Zeug loszuwerden. Bis Mr. Twiss starb, hatten sie Schafe, aber auch danach hatte sie noch’ne Menge Wolle. Sie hat Teppiche gewebt. Aus denen hab’ ich mir persönlich nie was gemacht - mir ist ein Nylonteppich in einer anständigen Farbe lieber -, aber’ne Menge Leute, die Sommerfrischler, haben sie wohl gekauft. Sie hat auch gestrickt. In dem Korb hier, das ist ihr Strickgarn.«
»Was verlangen Sie dafür?« Jewell wollte den Korb so dringend, wie sie nur jemals etwas gewollt hatte.
»Sind fünf Dollar in Ordnung? Sind größtenteils Reste. Für Socken wird’s wahrscheinlich noch reichen.«
Vier Leute waren nötig, um den Korb zu ihrem Auto zu tragen, und dann wollte der Kofferraumdeckel nicht schließen, und sie mußte ihn mit Schnur festbinden, die sie sich von der Frau borgte, die die Plakate angebracht hatte. Sie schrieb sich Namen und Adresse auf und schickte die Schnur am nächsten Tag mit Dank zurück.
Eines frühen Junimorgens ging Jewell zu dem Erdbeerbeet hinter dem einstürzenden Haus und zog die Netze von den dunklen Reihen. Sie würde Mernelle ein Stück voraus sein. Quecken erstickten die Reihen, und irgend etwas war unter das Netz gekrochen und hatte die Beeren an den äußersten
Pflanzen gefressen. Sie erinnerte sich an Schlimmeres: den Hagelsturm, der in fünf Minuten die Erdbeeren zu Marmelade machte, die frei herumlaufenden Kühe, die die Pflanzen zertrampelten. Sie breitete ein Stück Teppichboden auf den kühlen Boden, fing zu pflücken an und stellte die vollen Körbe unter die schattigen Rhabarberblätter. Die Sonne heizte schnell auf, über dem heißen Boden flimmerte Hitzedunst. Als Ray Mernelle ablieferte, hatte sie alle reifen Beeren gepflückt und die Netze wieder darauf gelegt. In ein paar Tagen würde sie erneut pflücken. An ihren rissigen Fingern klebte die schwarze Erde.
Sie setzte sich auf einem Gartenstuhl aus Aluminium in das schattige Viereck hinter dem Wohnwagen, Mernelle setzte sich ein Stück weg in die Sonne. Die Ringelblumen glühten. Mernelles Arme und Beine waren braun wie Nußschalen. Das lange, schwarze Haar war hochgekämmt und zu einem Knoten zusammengesteckt. Sie trug orangefarbene Shorts und ein ebenfalls orangefarbenes Hemd. Ihre Stimme klang scharf, aber sie war gut gelaunt.
»Ich mach’ Ray einen Erdbeer-Rhabarber-Kuchen, wenn du mir was von deinem Rhabarber gibst. Ray kann auf einen Sitz’nen ganzen Kuchen verdrücken.«
»Das kann ich ihm nicht verdenken. Du machst wunderbare Kuchen. Klar, nimm soviel Rhabarber, wie du willst. Es ist genug da. Und Erdbeeren. Werd’ nächste Woche noch mal pflücken. Es gibt dieses Jahr so viele, daß ich gar nicht anfangen mag. Und anscheinend find’ ich keinen Geschmack mehr an Erdbeeren. Es gab mal’ne Zeit, da konnte ich bei Erdbeerkuchen jeden unter den Tisch essen. Marmelade. Einfach Erdbeeren mit Sahne.« Jewells Finger waren vom Putzen der dikken Beeren rot bis zu den Knöcheln.
»Hast du sie gewaschen, Ma?«
»Ich hab’ sie hinten unter der Leitung abgespült. Du siehst ja, daß sie naß sind.«
»Ich sehe, daß sie naß sind, aber sie fühlen sich sandig an.«
»Dann mußt du bei denen ganz unten im Korb sein. Dub. Dub war der einzige von euch Kindern, der keine Erdbeeren essen konnte. Er hat sofort einen Ausschlag bekommen - Erdbeerkrätze hat eure Großmutter dazu gesagt. Die alte Ida. Jede Art von Ausschlag hat sie als’ne andere Art Krätze bezeichnet. Mückenstiche? Das war ›Schnakenkrätze‹. Geriet man in die Nesseln, hatte man’nen Anfall von ›Nesselkrätze‹. Dein Vater kam rein vom Heuboden, mit der ganzen Spreu hinten im Nacken, und es hat ihn fürchterlich gejuckt, und weißt du, was das war: das war ›Heukrätze‹. Wie ich das zum ersten Mal gehört hab’, da hab’ ich lauthals gelacht. ›Mensch, Mink hat die Heukrätze!‹ Darauf hat sie’ne Zeitlang nicht mehr mit mir geredet. Das war, bevor wir geheiratet haben. Ganz die alte
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