Postkarten
Glucke, hab’ ich gedacht. Sie sagte immer ganz hochtrabend: ›Ich glaub’ ja nich’, daß man mit ei’m Menschen sein Spaß dreiben sollde, wie’s so schön heißd.‹ Aber sie mußte’ne Menge wegstecken. Der alte Matthew, der war ein jämmerlicher alter Kauz. Launisch! Da hat euer Vater seine Launen hergehabt, und Loyal auch, möcht’ ich sagen. Ich seh’ ihn noch, den alten Matthew, wie er mal deine Großmutter nach was fragt, war nicht wichtig, nur wo irgendwas war, ob sie’s gesehen hätte. Sie hat grade mit ein paar Topfdeckeln geklappert und ihn nicht gehört. Ist im Alter’n bißchen schwerhörig geworden. Hat auch fast keine Haare mehr gehabt. Hatte vorn’n Büschel hochstehen, das’ne andere Farbe hatte als der Rest. So’n Rostbraun. Na ja, er hat’s in’n falschen Hals gekriegt, daß sie ihm nicht geantwortet hat, und ist in die Luft gegangen. Hat sich’n Glas Tomaten gegriffen, das auf’nem Regalbrett stand, und hat’s übern Boden gehalten und losgelassen. Daß was nicht stimmte, hat sie erst gemerkt, als sie diesen fürchterlichen Knall hinter sich gehört hat, ihre Beine waren naß, und sie hat sich umgedreht und auf dem sauberen Boden die Tomaten und Scherben gesehen und den alten Matthew rot im Gesicht wie ein Puter. Ja, die Mädels damals, die haben’ne Menge weggesteckt. Es war damals ziemlich schlimm angesehen, sich scheiden zu lassen, darum haben sie viel weggesteckt, Sachen, die heute keine Frau mehr wegstekken würde.«
»Was ist mit der alten Mrs. Nipple? Du hast mir nie erzählen wollen, was mit ihr war. Du weißt schon.«
»Aber eins muß ich sagen: Die alte Ida hat wunderbare Nachspeisen gemacht. Am Sonntagabend gab’s immer Königinpudding mit Himbeeren - da ist dir die Luft weggeblieben, so gut war der. Apfelpuffer, Blechkuchen. Und das Eis, wenn sie die Jungen dazu gekriegt hat, die Kurbel zu drehen. Sie hat Rhabarbereis gemacht. Ich weiß, das klingt nicht grade gut, aber es war gut. Ebenso das Weintraubeneis. Wenn die Trauben es schafften. Wenn wir sie nicht an einen späten Frühlingsfrost verloren.«
»Hör auf um den heißen Brei rumzureden, Ma. Das kenn’ ich alles schon. Was war mit Mrs. Nipple?«
»Sie hatte ein schweres Leben, blieb aber bei Laune, wie, das weiß ich nicht.« Der dunkle Kegel Erdbeeren in der Schüssel wuchs höher. Die auf der Unterseite weißgefleckten Kelche lagen im Gras verstreut, wo sie sie hingeworfen hatten. »Mit ihr hätt’ ich nicht tauschen wollen. Ich hab’ mir immer gesagt: ›Gott sei gedankt, daß ich nicht so schlecht dran bin wie Mrs. Nipple.‹ Aber am Ende war ich womöglich nicht besser dran. Ist schon komisch, wie die Dinge so gehen. Das Leben verrenkt sich wie ein Hund, der an’ner wunden Stelle am Hintern rumbeißt, damit sie aufhört, ihn zu plagen.«
»Das ist ein hübsches Bild, Ma.« Mernelle juckte es, die Hände in die Beeren zu tauchen, Händevoll davon hochzuheben und zu drücken, bis ihr der Saft die Arme hinunterlief. Ein unerklärlicher, merkwürdiger Wunsch, wie ihre Sehnsucht nach Kindern. Sie hatten ja den Hund, dachte sie höhnisch.
»Tja.«
»Mrs. Nipple.«
»Du kannst dich wahrscheinlich nicht an ihren Mann Toot erinnern, er ist gestorben, wie du höchstens fünf oder sechs warst, aber als junger Mann war er kräftig und gutaussehend. Braune, glatte Haare, die ihm auf’ne bestimmte Weise in die Augen fielen, wirklich hübsche Augen mit dunklen Wimpern, irgendwie aquamarinblau.«
»Komisch, aber an seine Augen erinnere ich mich. Er war ein fetter alter Sack, und ich war bloß ein kleines Kind, aber an die Augen erinnere ich mich. Die haben mich beeindruckt. Eine seltsame Farbe.« Und sie erinnerte sich an den alten Mann, der ihr mit der Hand über den Po rieb, wenn sie in der Scheune auf der Leiter stand. Ich helf’ dir hoch, sagte er immer, und dann die heißen Finger.
»Als junger Mann war er ein kräftiger Kerl, schnell und schlau, gefürchtet auf dem Tanzboden. Damals war er kein fetter Sack. Sah gut aus. Er hat Witze gerissen, gern gelacht und ist mit jedem gut ausgekommen. Die Mädels waren verrückt nach ihm. Er hat Mrs. Nipple geheiratet, natürlich hieß sie damals noch Opaline Hatch. Wurde aber bald Mrs. Nipple, und da konnte sich keiner einen Reim drauf machen, weil er genauso weitergemacht hat, als ob er nicht verheiratet wär’, traf sich mit Mädels, ging jeden Abend aus. Mrs. Hatch, das heißt Opalines Mutter, hat bei der Hochzeit jeden groß angelächelt. Aber drei
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