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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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etwas an, oder Mernelle hatte einen großen Strauß Flieder hereingeholt, aber hier herrschte ein Kopfwehgeruch, es roch wie das Zeug, mit dem man Bodenfliesen festklebte. Ray sagte, seiner Meinung nach sei es die Isolierung.
    »Was es auch ist, irgendwann in nächster Zeit ist es verflogen. Was man nicht ändern kann, nehme man geduldig an.« Sie konnte ja nach draußen gehen und frische Luft schnappen.
    Drei Tage in der Woche fuhr sie zur Konservenfabrik und arbeitete im Schnetzelraum. Machte Überstunden, wenn es eine eilige Bestellung gab. Sie waren zu automatischen Schnetzlern mit verstellbaren Einsätzen und Messern übergegangen, und sie hatte die neuen Maschinen schneller beherrschen gelernt als alle anderen. Janet Cumple, die Vorarbeiterin, hatte gestaunt.
    »Schaut nur, wie gut Jewell die Sache packt«, sagte sie vor versammelter Mannschaft. Jewell konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt gelobt worden war. Sie war rot und zittrig geworden, als alle sie ansahen, hatte an Marvin gedacht, den toten Bruder, der zu ihr gesagt hatte, sie sei ein kluges kleines Mädchen, weil sie, nachdem er die Suche längst aufgegeben hatte, im hohen Gras seinen selbstgebastelten Baseball - über einen Knubbel Gummibänder genähtes Leder - gefunden hatte. Sie konnte höchstens vier gewesen sein.
    Die übrige Zeit steckte sie in den Garten, in das Stricken von Mützen und Pullovern für den Skiladen, ins Herumfahren.
    »Das Dumme ist nur, daß ich diese langweilige alte Wolle verwenden soll, die ist nicht mal glatt gesponnen, da sind Knoten und Grassamen drin, und nicht die hübschen Farben, die man bei Ben Franklin kriegt. Ich nehm’ ja schon Wolle statt Acryl, das Acryl hat nicht soviel Halt und leiert aus, aber ich weiß nicht, was an ein bißchen Farbe verkehrt sein soll. Das viele Grau, Braun und Schwarz, das wird einem schnell langweilig. Darum lass’ ich bei den Pullovern für Ray Dampf ab.« Dub in Miami hatte nichts mit Wolle am Hut. Er schickte Fotos von sich, wie er in Shorts und geblümtem Hemd Golf spielte. Sein künstlicher Arm wirkte sehr echt, nur daß die Farbe rosiger war als die seines gebräunten rechten Arms. Aber jedes Jahr zu Weihnachten schenkte sie Ray einen wildgemusterten Pullover in schwindelerregenden Farben. Gezackte gelbe Blitze umschlossen seinen Oberkörper, rote Flugzeuge düsten über eine kobaltblaue Brust, endlose, grüne Rentiere zogen über braune und orangefarbene Ärmel. Er probierte sie an, lobte sie und brach über die schönen Details in Begeisterung aus, während Mernelle sich die Augen zuhielt und stöhnte: »Nein, o nein, ich halt’s nicht aus.«
    Der Entenpullover. Sie war am See entlanggefahren, auf einem ihrer Ausflüge hundertdreißig Kilometer von zu Haus entfernt, und geriet an einem windigen Oktobertag zufällig auf einen Kirchenbasar in einem häßlichen, heruntergekommenen Dorf. Zwei Frauen kämpften mit einer Schultafel, eine band mit einer Schnur Plakate daran, die andere schichtete um die Beine des Gestells Steine auf, damit es im Wind nicht umfiel. »BACKWAREN - WÜHLTISCHE - FLOHMARKT zugunsten der Kongregierten Gemeinde Mottford.« Gleich hinter dem Schild war ein guter Platz zum Parken.
    Die Backwaren waren nicht mehr, was sie einmal gewesen waren. Statt Schokoladekeksen, Schokoladekuchenecken direkt vom Blech, Apfelkuchen, Haferplätzchen und selbstgebackenem Brot gab es Sachen aus Backmischungen mit dreimal soviel Glasur wie nötig und Cocktail-Snacks aus Haferflocken und Nüssen. Auf den Wühltischen lagen die immer gleichen abgenutzten Küchengeräte, Statuen von Sklavenmädchen mit Flitter darauf, Holzschachteln und Handtuchhalter. Die Handarbeiten schienen ausschließlich aus mit Windmühlen bestickten Tischdecken zu bestehen, nie benutzt, seit den zwanziger Jahren weggepackt in einer Kiste mit Mottenkugeln, hellgelben Häkelbettdecken mit Stacheldrahtmuster und Babylätzchen mit alten Apfelsoßenflecken. Die Babys mußten inzwischen erwachsen sein.
    Ein großer, viereckiger Weidenkorb mit Deckel. Der erregte ihre Aufmerksamkeit. Der Korb reichte ihr bis zur Hüfte, und sie hob den Deckel hoch und schaute hinein. Er war vollgestopft mit Garnen, in Hunderten von Farben und Stärken, feines handgesponnenes Leinengarn, handgefärbte Wollknäuel, spitzklettengrün, färberwurzelrot, indigoblau, wolkengrau wie Walnüsse, golden wie Wasserknöterich. Intensivere, feinere Farben, als sie sie je benutzt hatte. Je tiefer sie wühlte, desto mehr Schätze fand

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