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Postkarten

Titel: Postkarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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inne. Fing an.
    »Ich halt’s aus«, murmelte er. »So schlecht geht’s mir gar nicht. Ich hab”n bißchen Geld auf der hohen Kante. Was zum Teufel erwartest du?«
    Sie saßen im Dunkeln, während das dichte aprikosenfarbene Licht in der Ferne verstreute Felsen entflammte.
    »Ein anderes Mal«, sagte Ben. »Hier, trink noch’nen Schluck vom Elendswasser.«
     
    Der Wind blies sich aus. Der Morgenhimmel war blaues Glas, die Giebel der Blockhütte berührten die harte Fläche. Wenn er einen Stein würfe, würde sie zerspringen, wenn er mit seinem vom Whiskey rauchigen Atem dagegen bliese, würde sie schmelzen. Unter der Kuppel drehte ein Adler einen weiten Kreis. Feldlerchengesang. Er urinierte auf einen stacheligen Feigenkaktus. Der Himmel geriet ins Wanken. Er sah die hellen Spritzer seines Wassers, das Funkeln von Flaschenglas, Ben, der neben ihn taumelte, das Gesicht wie von einem Hieb eingeschlagen. Sein künstliches Gebiß lag auf dem Tisch.
    »Keine Frauen«, sagte Loyal. »Ich kann keine Frauen um mich haben.«
    Ben sagte nichts, zertrat mit einem Fuß ein Büschel Flohkraut. Das giftige Wasser schoß aus seiner vernarbten Blase. Seine blinden, versoffenen Augen sahen durch den gläsernen Himmel, sahen das schwarze Chaos hinter der spöttischen Helligkeit.
    »Da ist irgendwas. Ich ersticke - wie bei’ner Art schwerem Asthma -, wenn ich ihnen zu nah komme. Wenn ich anfange, mich für sie zu interessieren. Verstehst du. Weil vor langer Zeit mal was passiert ist. Weil ich was getan hab’.« Überall war zerbrochenes Glas. Er sah Halme und Blätter aus Glas, runde, zerbrechliche Stiele aus rotem Glas, Insekten wie fliegende Tropfen geschmolzenen Glases, das in der Luft hart wurde, der Kies unter seinen Füßen wie Scherben. Er war barfuß. Er sah den Schorf zwischen seinen Zehen, die schlaff werdende Haut an seinen Unterarmen, die von billigen Stiefeln verbogenen Zehennägel.
    »Ich seh’, wie du dich in Schwierigkeiten stürzt. Dich mit Arbeit strafst. Wie du nicht weiterkommst, sondern nur woandershin. Ich erkenne ein Mitglied des Vereins. Ich nehme nicht an, daß du’s mal bei’nem Hirndoktor probiert hast.«
    Dummes Geschwätz. Er hätte wissen müssen, daß Bens Kehlkopf zerschnitten war von dem Glas, das er am Abend zuvor gegessen hatte. Er konnte es auch in seinem Hals und in seiner Lunge spüren. Herrgott, sein Hals fühlte sich an, als wäre er voll Blut. »Nein. An so was glaub’ ich nicht. Das Leben verkrüppelt uns auf verschiedene Weisen, aber es erwischt uns alle. So seh’ ich das, daß es uns alle erwischt. Es erwischt dich immer wieder, und eines Tages hat es gewonnen.«
    »Ach ja? Und so wie du’s siehst, mußt du immer wieder aufstehen, bis du nicht mehr kannst? Und die Frage ist bloß, wie lang man durchhält?«
    »So ähnlich.«
    Ben lachte, bis er kotzte.

31
    Toot Nipple

    Aus dem Aussichtsfenster vor dem Tisch in ihrem Wohnwagen blickte Jewell auf die weiter unten gelegene Wohnwagensiedlung. Wenn sie den blaugeblümten Vorhang des Badezimmerfensters aufzog, blickte sie auf das alte Haus, das jetzt auf den Knien lag. Im letzten Winter war das Dach unter einer Schneeladung zusammengebrochen. Ott wollte es abbrennen, nannte es einen Schandfleck, der die Wohnwagensiedlung verunstalte, weil es wie eine hölzerne Klippe über den pastellfarbenen Röhren hing, aber sie konnte es nicht loslassen, humpelte im Sommer jeden Tag hinauf, um die alten Gartenbeete hinter dem Haus in Schuß zu halten, obwohl mit dem Unkraut Waldmurmeltiere und Wild eindrangen und großen Schaden anrichteten. Ihre Knöchel schwollen so an. Der Garten will wieder verwildern, dachte sie.
    »Den größten Teil meines Erwachsenenlebens hab’ ich in diesem Garten geschuftet, um ihn so hinzukriegen, wie’s mir gepaßt hat, und jetzt überlass’ ich ihn nicht der Wildnis. Was fehlt, ist ein Junge, der um den Zaun rum ein paar Fallen aufstellt. Ich hab’ die große dicke Frau gefragt, Marla Swett, von der Wohnwagensiedlung unten, ob sie nicht ein paar Jungen kennt, die Fallen stellen, aber sie hat nein gesagt. Die stellen heutzutage wohl keine Fallen mehr. Loyal und Ronnie haben früher immer Fallen gestellt, sogar wie sie noch klein waren. Loyal hat mit den Pelzen gar nicht schlecht verdient. Und was ich da oben noch brauchen könnte, das wären ein paar Ladungen guter Hühner- oder Kuhmist. Ein Garten braucht Mist, aber krieg’ einer Ott erst mal so weit, daß er dran denkt, welchen herzubringen. Hier in der Gegend

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