Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Power Down - Zielscheibe USA (German Edition)

Power Down - Zielscheibe USA (German Edition)

Titel: Power Down - Zielscheibe USA (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Coes
Vom Netzwerk:
um zu Raffinerien in ganz Nordamerika transportiert zu werden. Capitana galt als zentrale Verbindungsstelle in einem unüberschaubaren Netzwerk aus Rohrleitungen, das auf einer Fläche von rund 360 Quadratkilometern knapp 200 Meter unter der Wasseroberfläche am Meeresboden verlief. Mehr als 2000 Anschlussrohre verteilten sich auf dem düsteren kalten Grund des Ozeans. Durch die Leitungen sprudelte ein hoch verdichtetes, äußerst wertvolles Gemisch aus Rohöl und Erdgas und strömte in das zentrale Pumpwerk unterhalb von Capitana, wo es getrennt und anschließend zurück an die Oberfläche gedrückt wurde.
    Das Gewirr aus Röhren, Hochfackeln und Stahldecks sah aus wie ein gigantischer Kranbaukasten. Unentwegt schossen die Flammen in den Himmel. Und doch gewann Dewey dem dichten orangefarbenen Inferno etwas Friedvolles ab. Die Flammen bestätigten ihm, dass seine Bohrinsel auf Hochtouren lief.
    Er ging zum Marine-Deck und starrte ein letztes Mal zu den Fackeln hinauf, ehe er sein Büro betrat. Er fühlte sich zwar müde, wollte aber trotzdem noch einmal einen Blick auf die Tabellen mit den Durchsatzraten werfen, bevor diese an die Firmenzentrale nach Dallas gefaxt wurden. Die monatlichen Berichte hielten fest, wie viel Öl aus dem Reservoir herausgeholt wurde.
    Die Novemberzahlen dokumentierten, weshalb das Capitana-Territorium für Anson Energy von so entscheidender Bedeutung war. Der letzte 30-Tage-Zyklus summierte sich auf eine Menge von 54,6 Millionen Barrel Öl. Das entsprach einem jährlichen Volumen von ungefähr 650 Millionen Barrel. Bei anderen Ölgesellschaften beliefen sich die Aufwendungen für die Förderung auf durchschnittlich 19 Dollar pro Barrel. Deweys Männer schafften es für elf – eine Ersparnis von acht Dollar pro Barrel. In Verbindung mit einem durchschnittlichen Marktpreis von 55 Dollar bedeutete das für das Capitana-Feld allein in diesem Jahr einen Nettogewinn von rund 28,6 Milliarden Dollar, was Dewey einen enormen Spielraum bei der Leitung seiner Bohrinsel verschaffte.
    Mitternacht war vorbei. Dewey sah zu, wie die Sendebestätigung aus dem Faxgerät kam – der Beleg dafür, dass sein Bericht die Zentrale von Anson in Dallas erreicht hatte, wo er auf dem Schreibtisch eines Mannes namens McCormick landete, den er nicht einmal persönlich kannte.
    Er griff hinter sich und zog ein Buch aus dem Regal, eine dicke, gebundene Ausgabe von Moby Dick, die ihn zu allen Einsätzen begleitete. Er hatte das Buch nie gelesen, nahm es aber trotzdem immer mit, weil sich dahinter eine Flasche Jack Danielʼs verstecken ließ. Er schraubte den Deckel ab und nahm einen anständigen Schluck. Noch ein, zwei Minuten, dachte er, dann würde er nach nebenan in seine Kajüte gehen, um zu schlafen.
    Auf dem Regalbrett darunter stand eine gerahmte Schwarz-Weiß-Fotografie. Er hatte sie schon lange nicht mehr angesehen. Nun warf er einen kurzen Blick darauf, schaute weg und nahm einen weiteren großen Schluck aus der Flasche. Langsam, wider besseres Wissen, nahm er das Foto in die Hand und stellte den Whiskey zur Seite.
    Er hielt es in der Linken und wischte mit dem rechten Ellenbogen den Staub von der Glasscheibe. Die Aufnahme zeigte einen wesentlich jüngeren Dewey mit einer hübschen blonden Frau und einem kleinen Jungen, hinter ihnen ein verschnörkeltes Schild mit dem Logo von Disneyland. Daneben ein Standbild von Micky Maus. Der Junge hockte auf Deweys Schoß, ein breites Lächeln im sommersprossigen Gesicht. In den Mundwinkeln klebten Reste von Schokoladeneis.
    Dewey trug eine Uniform, das weiß umrandete Rangerabzeichen auf seiner Schulter war deutlich zu sehen. Kurz danach hatten sie ihn darum gebeten, sich für die Delta Force zu bewerben. Sein Haar war kurz geschnitten, den Arm hatte er um seine Frau geschlungen. Im Vergleich zu ihm wirkte sie winzig. Beschützt, wunderschön, glücklich.
    Dewey dachte nicht gern über seine Vergangenheit nach. Meist musste er das auch nicht tun. Er erledigte einfach seinen Job, und wenn die Erinnerung an das frühere Leben durchbrach, nahm er sich selbst und seine Männer nur umso härter ran. Mehr als zehn Jahre war es jetzt her, und seitdem hatte er sich körperlich so sehr verausgabt, wie er konnte, um vor seinen inneren Gespenstern davonzulaufen. Der Anblick seiner alten Uniform versetzte ihm stets einen Stich, eine Mischung aus unermesslichem Stolz und tiefstem Hass. Hass darauf, was sie ihm angetan, welche Verbrechen sie ihm fälschlicherweise angelastet hatten.

Weitere Kostenlose Bücher