PR 2621 – Der Harmoniewächter
ich sie nicht mehr mit meinen Augen oder als Nachblitzen auf meinen Netzhäuten. In meinem Kopf jedoch war alles noch da: das Feuer, die Hitze, die Schreie, die einstürzenden Gebäude, die herabprasselnden Gesteinsmassen, die Erde, die aufriss und das ganze Universum zu verschlingen schien.
Es war anders gekommen, natürlich, sonst wäre ich nun nicht in dieser Klinik mit ihren weißen Wänden und der weißen Decke. Sonst würde ich nicht in der milchig weißen Brühe treiben und dem gleichmäßigen Summen lauschen, das die Heil- und Nährflüssigkeit durchzog.
Die leichten Vibrationen dienten der Hautregeneration, hatte mir ein Medizinalroboter über ein in mein Ohr implantiertes Mikrofon erklärt; die Schallwellen auf dieser speziellen Frequenz innerhalb der Flüssigkeit weichten die heilende Hautoberfläche auf und aktivierten genetische Regeneration aufgrund medikamentöser Beimischungen auf atomarer Basis.
Ich hatte ihn mir genau gemerkt, diesen typisch umständlichen und halb unverständlichen Redeschwall. Für mich selbst zog ich daraus eine ganz einfache Schlussfolgerung: Ich lebte noch.
Immerhin.
Nicht allen Soldaten, die mit mir in das paramilitärische Ausbildungslager gestürmt waren, war so viel Glück vergönnt.
Mit mir, wiederholte ich einen Teil dieses bitteren Gedankenganges. Das entsprach wohl nicht ganz der Wahrheit, wenn es auch recht bequem war.
Wenn ich korrekt sein wollte, musste es wohl heißen: die wegen mir das paramilitärische Ausbildungslager gestürmt hatten. Ich hatte sie in den Tod gelockt, weil ich nicht schlau genug gewesen war, um zu erkennen, dass das Lager eine einzige gigantische Falle meiner Feinde darstellte.
Es lag schon recht lange zurück, seit ich zum ersten Mal aufgewacht war. Wie lange, wusste ich nicht; da mir aber ein genaues Zeitgefühl fehlte und ich auch nicht auf einen Chronometer blicken konnte, vermochte ich es nicht abzuschätzen.
Die perfekt temperierte Wärme in dem Heiltank tat neben der Erschöpfung durch den Heilungsvorgang ihr Übriges, dass ich immer wieder einschlief.
Anfangs war ich stets mit Schmerzen aufgewacht, am ganzen Körper, buchstäblich jeder Millimeter hatte geschrien. Der widerwärtige Anblick eines Splitters, der meine Hand durchbohrte, hatte mir nicht gerade sonderlich gut gefallen – einer der Mediker hatte mir versichert, dass sie ihn bald entfernen würden, aber man noch ein wenig abwarten müsse, weil ...
Warum, hatte ich nie erfahren, weil ich wieder eingeschlafen war. Als ich erneut die Augen aufschlug, war er verschwunden gewesen. Der Mediker ebenso wie der Splitter.
Nun trieb ich in der Heilflüssigkeit, schwerelos und ohne Schmerzen.
Die perfekte Feuchtigkeit tat unendlich gut; mir war, als müsse ich immer noch den Staub und die Hitze vertreiben.
Ich streckte die Sprungbeine; zu meiner Überraschung gelang es problemlos, bis ich den unteren Rand des Regenerationstanks berührte. Ich öffnete den Mund, entrollte die Zunge, ließ sie in dem Wasser pendeln, das mir in den Mund spülte.
Mein Atemsystem war ohnehin längst damit gefüllt. Die notwendige Atemluft erhielt mein Blutkreislauf über einige kleine Schläuche, die in meinem Rumpf verschwanden; eine völlig schmerzlose und durchaus angenehme Prozedur.
Meine Haut hatte fast die richtige, graubraune Farbe wiedergewonnen. An das kranke Rot und abgestorbene Schwarz, das ich nach meinem ersten Aufwachen überall gesehen hatte, mochte ich gar nicht mehr denken. Über den Drüsen in den Warzen trieben vereinzelt ölige Schlieren wie dunstige Wolken.
Sehr gut, alles heilte und nahm endlich seinen normalen Gang.
Ich streckte die Finger, lang, dünn und zerbrechlich, und ein entsetzliches Bild stieg vor mir auf, eine Erinnerung: Mein Schutzschirm ist kollabiert, und ein Gesteinsbrocken zermalmt meine Hand.
Mühsam vertrieb ich das Bild, konzentrierte mich auf die angenehme Schmerzlosigkeit meines momentanen Zustands.
Ja, ich fühlte mich gut. Nur der Kehlsack hing schlaff, trieb wie ein verwelktes Blatt, wenn ich mich bewegte – ihn könnte ich nur mit Luft füllen. Genau das nahm ich mir als Erstes vor, wenn die Mediker mich aus diesem Tank herausließen.
Was schneller geschah, als ich es für möglich gehalten hätte, und dazu noch mit der überraschenden Ankündigung, dass wichtiger Besuch auf mich wartete.
*
Der letzte Rest der Füllung im Heiltank floss gurgelnd ab; weniger angenehm gestaltete sich das Absaugen der Flüssigkeit aus meinem
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