PR 2627 – Die letzten Tage der GEMMA FRISIUS
gegnerischen Roboter sind kaum noch verwertbare Trümmer übrig. Informationen über jenen Gegner, der dieses Schiff so zerstört hat, bleiben uns verwehrt.
»Vorwärts!«, befehle ich und gehe wieder voran.
Das Grummeln in meinem Magen verstärkt sich. Das Lächeln in meinem Gesicht macht, dass Sichu Dorksteiger noch weiter zurückbleibt. Die Pockennarben, die ich schon so lange im Gesicht trage, kommen nun deutlich zum Vorschein.
*
Wir befinden uns in unmittelbarer Nähe der Zentrale. Wir sind auf keinen weiteren Widerstand gestoßen.
Roman Schleifer und einige TARAS sind zurückgeblieben. Sie versuchen, einen der dezentralen Positronik-Rechnerknoten zum Funktionieren zu bringen. Ich zweifle an einem raschen Erfolg, möchte aber nichts unversucht lassen.
Fast oberschenkeldicke Stränge des Schmelzharzes zeigen sich überall. Sie sind aus Öffnungen gequollen, haben sich durch Wände gebohrt, verästeln sich da und dort, überwachsen technische Geräte, bilden riesige Klumpen, sind schlichtweg überall zu finden.
Ich fühle mich unwohl. Was, wenn sie Arme eines krakenähnlichen Wesens sind, das irgendwo im Schiff sitzt und bloß darauf wartet, bis wir zu tief ins Innere vordringen, um rasch genug entfliehen zu können? Was, wenn wir diesem Geschöpf direkt ins gefräßige Maul laufen?
»Nehmt euch in Acht!«, mahne ich die Soldaten nicht zum ersten Mal an diesem Tag. Ich spüre Gefahr.
Curi Fecen hingegen ist von bemerkenswerter Gemütsruhe. Er gibt Anweisungen, zeichnet mithilfe seines Armbandkoms Einsatzpläne, beweist sich als ausgezeichneter Stratege, lenkt seine Leute und denkt für sie.
Die Soldaten gehen nahe der Eingänge zur Schiffszentrale in Stellung. Alle Schotten sind geöffnet. Eines der Tore fährt auf und zu, immer wieder. Ein körperstarker Strang aus Schmelzharz hindert es am Schließen. Er zeigt sich völlig unbeschädigt, trotz der stetigen mechanischen Einwirkung.
Ich gebe das Kommando.
An Curi Fecens Seite stürze ich durch eines der Tore ins Innere des Raums. Ich fürchte mich vor dem Unbekannten. Vor einem Gegner, dem wir machtlos gegenüberstehen könnten, so wie die Besatzung der GEMMA FRISIUS.
Doch es bleibt ruhig. Meine Begleiter sichern eine Abteilung nach der anderen. Sie steigen über Stränge des Schmelzharzes, die an dieser Stelle dicker scheinen als sonst wo im Schiff. Das Zeug hat die Funk- und Ortungsabteilung fast zur Gänze überwachsen. Stühle, Arbeitspulte, Kartentanks, Terminals – dies alles ist vom Schmelzharz verändert oder zerstört worden.
»Raum gesichert!«, meldet Curi Fecen und gibt leise weitere Anweisungen.
Sichu Dorksteiger betritt mit gezogener Waffe den Raum. Ein gutes Dutzend TARAS bewacht uns.
Die Stimmung ist gedrückt. Das von innen heraus leuchtende Schmelzharz erzeugt in mir das Gefühl, im Raumschiff eines Unbekannten zu sein. Nur noch weniges erinnert an terranische Bauweise.
Sichu winkt mich zu sich. Sie deutet auf zwei meterhohe Klumpen des fremden Materials. Sie stehen nahe jenes Bereichs, der den Geschützoffizieren zuzuordnen ist. Die beiden Blöcke sind durch mehrere Stränge miteinander verbunden. Andere gehen von dort ab, winden sich kreuz und quer durch den Raum, um dann in Wartungs- und Klimaschächte zu münden.
Ich lasse meine Finger über beide Blöcke gleiten. Sie fühlen sich glatt und rutschig an.
»Wir bekommen Verstärkung aus der JULES VERNE.« Sichu Dorksteiger blickt unbestimmt an mir vorbei. »Weitere Materialkunde-Spezialisten und die findigsten Analysten sind bereits auf dem Weg.«
»Keiner von ihnen macht auch nur ein Auge zu, bevor er Antworten liefert.«
»Ronald, ich glaube, du übertreibst ...«
»Und du verstehst nicht!« Ein weiteres Lächeln. Ein weiterer Grund für sie, mich zu fürchten und sich von mir abzuwenden. »Das Unglück in diesem Raumschiff ist kein Mysterium, das man für sich allein betrachten darf. Ich gehe davon aus, dass das Schmelzharz und der Untergang der GEMMA FRISIUS unmittelbar mit dem Verschwinden des Solsystems zu tun haben.«
»Das ist eine mehr als gewagte Behauptung.«
»Möchtest du eine Wette abschließen?«
»Nein danke!« Sichu wendet sich ab und tut so, als widme sie sich einem besonders dünnen Strang aus Schmelzharz. »Man sagte mir, dass du deine Wetten nur selten verlierst.«
»Niemals«, stelle ich richtig.
Ich bin nicht in der Laune für Spiegelfechtereien. Alle meine Sinne sind angespannt. In der GEMMA FRISIUS riecht es nach Tod und nach
Weitere Kostenlose Bücher