PR 2627 – Die letzten Tage der GEMMA FRISIUS
Ich rieche die Spur. Ist es die Erfahrung, ist es das harte und nie unterbrochene Training, ist es eine angeborene Fähigkeit, in »beruflichen« Dingen stets das Richtige und in privaten Bereichen stets das Falsche zu tun?
Ich betrachte das Innere der kleinen Nebenzentrale.
»Schnüffler« sind bereits an der Arbeit. Winzige Roboter, einzig für diese Aufgabe geschaffen, die selbst geringsten Spuren nachgehen und nach Hinweisen suchen, die uns Menschen verborgen bleiben könnten.
»Eingetrocknetes Blut auf dem einzigen Sitz. Eine mit gezielten Schüssen aus einem Thermostrahler zerstörte Positronik. Hinweise auf eine Auseinandersetzung, aber kein Toter. Und eine Feuerschildkröte, ebenfalls beschädigt, die sich zwischen den Stuhlbeinen verfangen hat. Was hat sie hier zu suchen? Warum funktioniert und bewegt sie sich noch?«
Ich beantworte mir die Frage selbst. Jemand hat das Ortungs- und Funkleitungssystem des kleinen Roboters zerstört und ihn damit aus der Befehlsgewalt durch die Bordpositroniken genommen. Dieser Jemand wusste ganz genau, was er tat. Er war nicht in der Lage gewesen, die Schildkröte in seinem Sinne zu beeinflussen. Aber er konnte dafür sorgen, dass sie sich unbeeindruckt von den Schiffsgehirnen weiterbewegte.
Um einer Suchmannschaft einen Hinweis zu geben?
Ich starre das Ding an. Leise brummend dreht es sich um die eigene Achse. Seine Bewegungsmodi sind äußerst eingeschränkt. Ein präziser Schuss hätte diese Wirkung erzielt.
»Untersucht das Ding.« Ich betrachte den Schaden am Ortungskopf und sehe winzige, womöglich mit einem Fingernagel gezeichnete Linien. Krakelige Symbole, die mit Blut gezogen sind.
Ich sehe etwas glitzern. Womöglich handelt es sich um einen Datenspeicher, der mit unbeholfenen Bewegungen ins Innere des Steuerkopfs gezwängt wurde. Spezialisten müssen sich das Ding ansehen und es tunlichst unbeschädigt hervorziehen.
»Hier oben«, sage ich und deute auf die Blutmarkierungen.
Curi Fecen nickt. Er versteht, was ich von ihm erwarte. Ich werde mich nicht weiter um dieses Problem kümmern müssen.
»Wer hat hier gesessen? Wer ist der Unbekannte?«
»Es gibt noch mehr als einhundert Vermisste«, sagt Sichu Dorksteiger. »Die meisten kann ich Beibootbesatzungen zuordnen, von denen ich annehme, dass sie Fluchtversuche unternommen haben und dabei umgekommen sind.«
»Du hast einen Verdacht?«
»Eine Vermutung. Wir müssen die Blutspuren untersuchen lassen, um Gewissheit zu erlangen.«
»Jetzt sag schon!«
»Von der einstigen Zentralebesatzung der GEMMA FRISIUS fehlt uns nur noch der Stellvertretende Kommandant.« Sichu konzentriert sich auf eines der vielen Holos, die sie rings um sich ausgebreitet hat. »David Campese war Nexialist. Er war kein herausragender Wissenschaftler, und als Mensch war er von eher zweifelhaftem Charakter, wenn ich mir seine private Akte so ansehe. Aber er war für das wissenschaftliche Personal zuständig. Er kannte das Schiff und seine Besatzungsmitglieder.«
»David Campese ...«
»Ihm wurde nachgesagt, ein Drückeberger ohne sonderlich viel Autorität zu sein.«
»Ich möchte eine Bestätigung seiner Identität, so rasch wie möglich.«
Sichu Dorksteiger nickt. »Was glaubst du, was mit ihm geschehen ist?«
»Ich vermute, dass es zu einer Auseinandersetzung mit Kampfrobotern kam und dass er getötet wurde. Desintegriert.« Ich sage es mit unbewegtem Gesicht. Ich teste, wie die Ator auf meine Gefühlskälte reagiert.
»Mag sein.« Sichu reagiert nicht auf meine Provokation. »Mag aber auch sein, dass er vom Gegner überwältigt und entführt wurde.«
»Hm?« Die Frau überrascht mich immer wieder. Diese Möglichkeit habe ich niemals in Betracht gezogen. Nichts in der Vorgangsweise unseres unbekannten Gegners deutet darauf hin, dass er Wert auf Gefangene legt.
»Vielleicht braucht man ihn. Vielleicht dient er als Anschauungsobjekt.«
Sichus Gedanken gleiten zu weit ins Spekulative ab. Daran erkenne ich ihre Unerfahrenheit.
»Mag sein«, sage ich und verlasse den kleinen Raum. Ein Trupp Fachleute nähert sich eben mit einer Schwebeplattform im Schlepptau. Ich kann mich darauf verlassen, dass die Spuren in der kleinen Nebenzentrale nach allen Regeln der Kunst untersucht werden.
»Was nun?«, fragt Sichu.
»Ich habe vorerst genug gesehen«, sage ich.
»Du wirkst müde.«
»Müde, ja, aber keineswegs erschöpft.« Ich lüge, wie so oft. Ich wende mich an Curi Fecen: »Du sorgst dafür, dass die Forschungen hier
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