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PR 2630 – Im Zeichen der Aggression

PR 2630 – Im Zeichen der Aggression

Titel: PR 2630 – Im Zeichen der Aggression Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc A. Herren
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nächtelang keinen Schlaf, wenn sie über das Schicksal ihres Jüngsten nachgrübelte. Und Karun war ihr überhaupt keine Hilfe dabei. Einmal hatte er gar gesagt, dass Tokuns Eigenheiten ihm später nützlich sein könnten.
    Welch ein Hohn!
    »Schau, mein Schatz«, sagte sie tapfer. »Ich habe dir die Wurzelknolle ausgehöhlt und die Schale mit Schnitzereien verziert.«
    Sie hob die drei Schnüre hoch, an denen sie das Re'blicht befestigt hatte. Die Talgkerze flackerte leicht und brachte die stilisierten Dosanthi-Figuren und die Kreiselmuster zum Tanzen.
    Sirran hatte mittlerweile ein Alter erreicht, in dem sie sich der Prozession des Lichts entwachsen fühlte. Sie fürchtete sich davor, was die anderen über sie sagen würden. Dabei waren es Sinn, Zweck und Absicht des Umzuges, den Kindern – und ihren Eltern – Mut und Wärme zu geben, die Angst vor der Dunkelheit und des Unwissens zu besiegen.
    Tokun presste die Lippen aufeinander. Seine spitzen Ohren zuckten nervös, die ausgeprägten Knorpelstrukturen auf seiner Stirn stellten sich leicht auf. Um die Ablehnung noch deutlicher zu machen, verschränkte er die Arme und zeigte ihr demonstrativ seinen Buckel.
    Sirran hatte einmal behauptet, dass Tokun während einer Meinungsverschiedenheit in das Agalaria, den erregten Zustand, gewechselt und sie bedroht hatte, ohne dass er sich zuerst an einer Wand mit Calanda aufgeladen hatte. Alia hatte diese Aussage als Schreckensammenmärchen abgetan. Mittlerweile war sie sich nicht mehr so sicher, ob sie ihrer Tochter nicht vielleicht doch unrecht getan hatte.
    »Ich habe mir solche Mühe gegeben«, versuchte sie es auf der emotionalen Schiene. »Es würde mir viel bedeuten, wenn du an der Prozession teilnehmen würdest. Du brauchst mit den anderen Kindern nicht zu reden. Ignorier sie einfach, dann können sie dich auch nicht reizen.«
    Tokun kratzte sich ausgiebig an den zylinderförmigen Dosan-Drüsen oberhalb der Nase. Ergeben blickte er Alia an. »Du hast gewonnen, Mutter«, murmelte er. »Ich werde mitgehen.«
    Alia fühlte Erleichterung in sich aufsteigen. »Das freut mich, mein Schatz!«
    Sie nahm einen der Allzweckstöcke, die – mit unterschiedlichen Aufsätzen versehen – sowohl zur Pflege der Wände als auch der Granulat- oder Moosböden verwendet wurden. Mit geübten Fingern band sie die Enden der drei Schnüre daran und hielt ihrem Sohn den Griff entgegen. »Du wirst sehen, dass dir die Prozession viel Freude bereiten wird!«
    Wortlos riss Tokun ihr den Stock aus der Hand. Das Re'blicht schwenkte bedrohlich hin und her.
     
    *
     
    Der Strom an jungen und jüngsten Dosanthi riss nicht ab. Es schien, als hätten sich alle Jugendlichen der Stadt Dogeju in den Wohnkavernen ihres Zapfenraumers eingefunden, um an der Prozession des Lichts teilzunehmen. Sie trugen die teilweise kunstvoll geschnitzten Wurzelknollen mit den flackernden Talgkerzen wie Trophäen vor sich her. Dabei sangen sie die traditionellen Re'blichtlieder, die zum größten Teil aus Versen der Dosanthi-Litanei bestanden.
    Grellheit ist der Freund der Angst, sangen sie. Das Auge des Dosanthi benötigt aber Licht zum Sehen. Die Flamme der Kerze ist der Segen, der die Angst vor der Grellheit besiegt.
    Alia stand zwischen den anderen Eltern und wartete voller Aufregung darauf, dass Tokun in der Prozession an ihr vorbeizog. Plötzlich fühlte sie eine sanfte Berührung an ihrem rechten Ellbogen. Erschrocken sah sie auf.
    Karun stand da.
    »War es unbedingt nötig, hier aufzutauchen?«, fragte sie. »Hast du keine dringenden Verwaltungsgeschäfte zu erledigen?«
    Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, taten sie ihr bereits leid. Karun sah sie mit diesem unergründlichen Blick an, der sie zu Beginn ihrer Liaison fasziniert, später mehr und mehr verängstigt hatte. Wenn Karun die Augenlider beinahe schloss, wirkten die senkrecht geschlitzten Pupillen wie Dolche, die beim Zustechen bis in Alias innerstes Selbst eindrangen.
    Bei Karun hatte sie immer das unbestimmte Gefühl gehabt, dass er mehr über sie wusste als sie selbst. Im Gegensatz dazu hatte er seine eigene Herkunft stets mit groben Pinselstrichen gemalt. Seine Eltern hatte Alia nie kennen gelernt, Fragen nach seiner Vergangenheit hatte er häufig brüsk mit der Erklärung abgewürgt, dass er es schwer gehabt hätte in der Kindheit und nicht darüber reden wollte.
    Karun kratzte sich am Hals, zog es vor zu schweigen.
    Nervös blickte sich Alia nach den anderen Eltern um, die sich an die Wände der

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