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PR 2630 – Im Zeichen der Aggression

PR 2630 – Im Zeichen der Aggression

Titel: PR 2630 – Im Zeichen der Aggression Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc A. Herren
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Gänge drängten, um der Prozession möglichst viel Raum zu lassen. Sie wusste, dass die anderen Dosanthi über sie tuschelten. Jede öffentliche Auseinandersetzung mit ihrem früheren Partner warf nur noch mehr trockenes Moos in die Feuerschalen.
    Karun galt als gute Partie unter den ungebundenen und sich nach einem Partner verzehrenden Frauen. Das Scheitern ihrer Beziehung war mit wenig Mitleid, dafür mit umso mehr Häme registriert worden. Nach außen hatte sich Karun stets distanziert gezeigt und auf seine weitreichenden Verpflichtungen als Verwalter verwiesen, wenn er in aller Öffentlichkeit umworben worden war.
    Alia zweifelte aber nicht daran, dass der Vater ihres Sohnes nach wie vor gerne an fremden Wänden klebte. Nur so ließ sich erklären, dass sie ihn selbst bei dringenden Themen – etwa wenn Tokun sich bei einer Rauferei verletzt hatte – häufig nicht erreichen konnte.
    Alia hatte ein gutes Gehör für Lügen. Bei Karun griff sie dabei stets ins Leere; sein engster Mitarbeiterstab war beim Ausbreiten von Ausreden über seinen aktuellen Standort und seine Tätigkeiten weit weniger überzeugend.
    »Es ist schön, dich zu sehen, Alia«, sagte er plötzlich.
    Alia fühlte, wie ihre Ohren vor Schreck zuckten. Sie murmelte ein paar undeutliche Worte. Gleich darauf riss sie erleichtert den rechten Arm hoch und zeigte auf eine Siebenergruppe Kinder, die in gleichfarbigen Kutten feierlich in ihre Richtung schritten. »Da ist Tokun!«
    Ihr Sohn schritt in der Mitte der als Raute formierten Gruppe. Er hielt das Re'blicht weniger hoch in der Luft als die anderen, gab sich aber sichtlich Mühe, seine Abneigung zu überspielen.
    In Gedanken leistete sie Lehrer Maron Abbitte. Nachdem sie ihm ihren Sprössling abgegeben hatte, hatte dieser mit unverkennbarem Schrecken reagiert. Nach kurzem Zögern hatte er aber eingewilligt, Tokun in eine Gruppe einzugliedern. Seither hatte Alia sich sorgenvoll gefragt, ob der Lehrer seinen Entschluss rückgängig machen würde.
    »Hör nur, Alia«, murmelte Karun erfreut. »Sie singen Kraft aus Konzentration!«
    »Ist er nicht süß in seiner ockerfarbenen Kutte?«
    »Lehrer Maron hat sie mit dem Symbol ihrer Kindergruppe besticken lassen.«
    Alia sah genauer hin. Tatsächlich prangte auf dem höchsten Punkt ihrer Buckel je ein schwarz glänzendes Dreieck, das Symbol Ohren-Augen-Dosan.
    »Du hast recht!«
    In diesem Moment fühlte Alia sich so glücklich wie lange nicht mehr. Karuns zitternde Finger umschlossen ihren rechten Unterarm. Sie ließ es geschehen, entschlossen, sich in diesem Augenblick der Illusion einer funktionierenden, kraftspendenden Kleinfamilie hinzugeben. Nur Sirran fehlte, die ...
    »Was soll das?«, erklang die aufgeregte Stimme eines Kindes. Sie behauptete sich problemlos gegen das allgegenwärtige Flüstern der Kinder und Erwachsenen.
    Tokuns Stimme.
    Alia zuckte zusammen. Tokun hatte sie entdeckt. Abrupt blieb er stehen. Zwei Kinder, die direkt hinter ihm gegangen waren, versuchten ihm auszuweichen. Ihre Re'blichter schwangen herum, die Schnüre verhedderten sich mit denjenigen anderer Kinder.
    »Was soll das?«, rief Tokun erneut in seiner hohen Kinderstimme. Anklagend zeigte er auf Karun und Alia. »Wie lange sollen wir dieses Schauspiel noch aufführen? Ich bin es leid!«
    Rings um ihn vergrößerte sich das Chaos. Einige Kinder wichen zur Seite aus, brachten andere zu Fall. Re'blichter fielen zu Boden, zerbrachen, heißer Talg vermischte sich mit dem Bodengranulat.
    »Ich will das nicht mehr!« Tokuns Stimme klang plötzlich heiser, als wäre er im ...
    In diesem Augenblick richtete sich Tokuns Körper sprunghaft auf, die runzlige Haut straffte sich, die Beine verloren ihre krumme Form, der Buckel verschwand. Panikwellen breiteten sich aus.
    Hunderte von Kehlen schrien erschrocken auf, unter ihnen Alia und Karun.
    Bedrohlich schwang Tokun sein Re'blicht über den Köpfen der wenigen Kinder, die sich auf den Beinen gehalten hatten. Er überragte sie um fast das Doppelte.
    »Er ist im Agalaria!«, rief Karun. Grob riss er Alia herum. »Hat er sich in den letzten Tagen mit Calanda aufgeladen?«
    In Karuns weit geöffneten Augen sah Alia ihr eigenes Gesicht – eine Maske aus Angst. »Ich ... ich weiß nicht ...«
    Von Tokun gingen unverkennbar starke Ogokoamo-Ausdünstungen aus. Einige Kinder, aber auch erwachsene Dosanthi gaben ihrem Fluchtreflex nach. Sie rannten in alle Richtungen, machten das Chaos perfekt. Die Schreie vermischten sich zu einer

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