PR 2643 – TANEDRARS Puppe
Tiefenland oder wie immer dieser alte Spruch genau lautete.
Der Raum war um einiges größer als erwartet. Regale bedeckten alle Wände ringsum. Wer der Bewohner auch gewesen war, er schien versucht zu haben, die tausend verrücktesten Dinge des Universums zu sammeln.
Neben einer halb zerschmolzenen Kerze, aus der sich ihm winzige Ästchen aus Holz entgegenstreckten, entdeckte Endreas Bücher – gedruckte, eingebundene Bücher! – und eine Vasensammlung, in der eine Unzahl von zweifellos künstlichen Blumen steckte, von terranischen Rosen über arkonidische Mondkelche bis zu Bleiveilchen von Ertrus.
Ein anderes Regal quoll beinahe über vor Skulpturen; eine Art Kunstwerke wohl, vielleicht selbst modelliert. Endreas erkannte allerhand Fremdvölker, von Blues über Aras und Haluter bis hin zu Cheborparnern oder einer Kartanin. Letztere so katzenhaft geschmeidig und mit so fein ausgearbeitetem Gesichtsfell, dass es aussah, als müsse sie im nächsten Augenblick vom Regal springen. Meist handelte es sich um handspannengroße Figuren.
Unwillkürlich griff er nach einem Blue, der einen weiten, wallenden Mantel trug, bis zum letzten Faltenschlag perfekt modelliert. »Bei der dunkellila Kreatur der Monstrosität«, zirpte es plötzlich. »Wer bei allen Sonnen bist denn du?«
Erschrocken stellte Endreas den Blue zurück. Dann erst wurde ihm klar, dass es sich um einen automatischen, mechanischen Effekt gehandelt hatte. Er grinste, und das tat nach all den schweren Gedanken gut. Ohne groß nachzudenken, hob er die Kartanin-Frau aus dem Regal, und ein katzenhaftes Fauchen zischte ihm entgegen.
»Wie können diese Figuren dir helfen?«, fragte der Roboter.
Endreas ließ die Kartanin-Frau fallen. Sie schlug auf den Boden und zerbrach in zwei Teile. Einen Augenblick lang sah er sie bedauernd an. »Gar nicht. Suchen wir nach etwas Essbarem. Oder Wasser.«
Sein mechanischer Begleiter näherte sich bereits dem Eingang in die Hygienezelle, die zum Quartier gehörte. Die Tür war nur angelehnt. Er sah hinein und wandte sich um.
»Schlechte Nachrichten«, verkündete er. »Wir können den Nebenraum nicht betreten. Die Grenze verläuft dort.«
Direkt nach diesen Worten erreichte Endreas den Durchgang und sah es mit eigenen Augen. Das unwirkliche grünblaue Flirren lag wie ein Energievorhang dicht hinter der Tür und versperrte den Weg zum Waschbecken, der Dusche und der Toilette.
»Du hättest nicht nachsehen müssen«, versicherte die Maschine. »Oder traust du mir nicht? Weshalb sollte ich dich anlügen?«
»Ich ...«, begann er, brach aber ab. So bin ich eben, lag ihm auf der Zunge. Aber das wäre wohl kaum ein Argument gewesen, das den Roboter zufriedengestellt hätte. Also schwieg er lieber.
Gemeinsam durchsuchten sie den Raum.
Endreas kam sich wie ein Leichenfledderer vor, als er die Decke vom Bett hob, das Kissen zur Seite schob und jede einzelne Schublade des kleinen Schränkchens an der Wand aufzog.
Darüber hingen zwei Holofotografien – die obere zeigte eine terranische Familie im Grünen vor dem Hintergrund der gigantischen schwebenden Solaren Residenz von Terrania. Alle lächelten glücklich. Auf dem unteren Bild lagen drei Kinder, alles Mädchen mit verwuschelten blonden Haaren und blauen Strähnchen, auf einem Berg aus Sand und schienen quietschvergnügt.
Seine Familie, dachte Endreas. Wahrscheinlich wissen sie noch nicht, was mit ihm geschehen ist. Oder vielleicht waren sie mit an Bord der BASIS, immerhin nahe bei ihm, und sind inzwischen genauso tot wie er.
Er zwang sich, diesen Gedanken nicht weiterzuverfolgen. Die Kehle wurde ihm eng, wenn er darüber nachdachte und sich seinen eigenen Sohn vorstellte. Mikjaello war zwanzig Jahre alt gewesen, als die BASIS aufbrach. Endreas wusste nicht einmal, wie viel Zeit seitdem im ... normalen Universum vergangen war. Tage? Wochen? Jahre? Hatte Mikjaello inzwischen vielleicht selbst Kinder bekommen?
Sein Sohn studierte an der Universität von Terrania und galt als einer der hellsten Köpfe auf dem Gebiet der Neurobiologie. Endreas hatte nie begriffen, woher der Junge seinen Verstand hatte. Bestimmt von dir, hatte Myrja gesagt, am Tag, bevor sie gestorben war, denn ich habe meinen noch.
Während Endreas weiter das Zimmer durchsuchte, liefen ihm Tränen über das Gesicht. Mehr denn je wollte er es schaffen. Er musste überleben! Für Myrja. Sie hätte nicht gewollt, dass der Junge auch noch seinen Vater verlor.
Teil 3: In der RHYLINE
Harmoniewächter
Weitere Kostenlose Bücher
Die vierte Zeugin Online Lesen
von
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg