PR 2645 – Die Stadt ohne Geheimnisse
»Aber alles in allem sind wir mit Rhodan und seinem Team – auch mit ES übrigens – gut gefahren.«
»Ja«, gab Anicee zu. »Aber wäre es nicht an der Zeit, einmal selbst zu fahren? Ohne Chauffeur?«
Routh schaute amüsiert. »Also wird aus der Marionette Rhodan erst ein Brocken Fels und jetzt ein Chauffeur. Respekt.«
Anicee schaute ihn ernst an. »Merkst du es denn immer noch nicht? Sham, du bist hier, ich bin hier, fern von Terra, wo Ma regirrt. Und worüber plaudern wir? Über Rhodan, Bull und Co. Ich hasse diese Allgegenwart. Ich ertrage sie nicht mehr.«
Sie sah plötzlich müde aus und zugleich über jede Müdigkeit erhaben, zornig, aber wie jemand, der sich entschieden hat.
Mit aller Behutsamkeit berührte er ihre Wange.
»Ich will sie nicht mehr«, wiederholte sie. »Ich will Rhodan nicht mehr. Ich will keiner seiner Terraner mehr sein.«
Routh nickte hilflos.
Sie fragte: »Und du? Auf welcher Seite stehst du?«
Er überlegte. Sie schaute ihn an, seine Hand an ihrer Wange. Er atmete tief durch. »Ich werde immer auf deiner Seite sein.«
»Gut«, sagte sie.
Er zog die Hand zurück, ratlos, was er nun tun sollte.
Sie sagte: »Manchmal muss man einfach aus dem Kreis heraustreten, um zu sehen, in welche Richtung er sich bewegt.«
»Und Gadomenäa wäre so ein archimedischer Punkt, von dem aus man die Menschenwelt richtig sehen und aus den Angeln heben könnte?«
Anicee lächelte zustimmend.
Routh nickte. »Gadomenäa ... das ist wirklich ein ganz besonderer Planet.«
Anicees Lächeln löste sich auf. »Inwiefern?«
»Ich habe hier eine Frau kennengelernt.«
»Eine Frau? Das freut mich für dich. Eine junge Frau? Eine, die deine Tochter sein könnte?« Ihre Augen sprühten vor Spottlust.
»Ich weiß nicht. Keine derjenigen, die den Auguren gefolgt sind. Keine Terranerin.«
»Wo ist sie?«
»Sie ist tot.«
Anicee nickte, fragte aber nicht weiter nach.
»Tot. Wie Benat Achiary. Du erinnerst dich an ihn?«
»Ja. Wie könnte ich mich denn nicht erinnern?«
»Der Junge, den deine Zofe ermordet hat. Wie war noch ihr Name? Liuve?«
»Es war kein Mord.«
»Ach ja, ich vergaß. Es war bloß eine von Liuve initiierte Organspende an die Sayporaner. Das ist es doch, was die Auguren mit Leichen machen, nicht wahr? Sie konsumieren ihre Organe.«
»Während zivilisierte Wesen wie die Terraner Gewebe verwesen lassen.«
» Die Terraner? Wie du das sagst. Bist du keine Terranerin mehr?«
»Sayterranerin. Ich sagte es schon.«
»Und ich sagte schon: Das klingt ungewohnt.«
Sie lachten beide.
»Benat«, sagte Anicee. Sie lächelte Routh an. »Ich fürchte, ich muss den Investigator in dir enttäuschen.«
»Bitte. Enttäusche ihn.«
»Sagt dir der Ausdruck Dagöer-Syndrom etwas?«
»Warte«, sagte Routh. Augenblicke später hatte Puc ihn erinnert: Das Dagöer-Syndrom ist eine extrem seltene Nervenkrankheit, unter hundert Milliarden ein Fall pro Jahrhundert. Zuerst lösen sich die Sehnerven auf, der Befallene erblindet. Dann folgen weitere Hirnregionen. Eine Therapie gibt es nicht. Zwar lässt sich etwas von der vernichteten Hirnsubstanz durch kybernetische Prothesen ersetzen, aber das ändert nichts am Untergang seines Ichs.
»Er war unheilbar krank?«, fragte Routh.
Anicee nickte. »Verloren ohne Rettung, wie man sagt.«
»Und er ließ sich töten, um ...?«
Sie schloss die Augen und schien nachzudenken. »Erinnerst du dich an das Märchen von des Teufels goldenen Haaren?«
Er weitete erstaunt die Augen. »Ja.«
»Ich habe dieses Märchen lange nicht verstanden, weißt du«, gestand ihm Anicee.
Routh lächelte überrascht: »Was gibt es daran nicht zu verstehen? Ein Kind mit einer Glückshaut wird geboren, ein gutes Omen. Am Ende wird alles gut.«
»Am Ende also. An wessen Ende? Der König hat sein Königreich verloren. Er wird auf ewig in seinem lächerlichen Exil bleiben, auf diesem Nachen, der zwischen den Welten schwebt.«
»Das ist die Strafe für seine Gier.«
»Wir strafen gern«, sagte Anicee. »Ich habe mich immer gefragt: Wie mag die Geschichte ausgehen?«
»Ich habe sie immer zu Ende erzählt.«
»Wirklich? Was ist mit den drei goldenen Haaren?«
»Was soll damit sein?«
»Es sind die Haare des Teufels. Und sie sind aus Gold. Wieso wächst aus der grauenvollsten Kreatur des Universums diese Schönheit?«
»Ich weiß es nicht«, gestand Routh.
»Vater«, sagte sie leise. »Du wirst es wieder bezweifeln, und du wirst ihnen, den Sayporanern, wieder kriminelle oder
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