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PR 2645 – Die Stadt ohne Geheimnisse

Titel: PR 2645 – Die Stadt ohne Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Vandemaan
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Menschen haben immer neue Welten entdecken wollen. Haben nicht alle Entdeckungen ihre Opfer gefordert? Die Auswanderungen von Europa nach Amerika? Von der Erde zu den ersten Kolonien? Alles nur eine leutselige Prozession von heiler Welt zu heiler Welt?«
    »Sie haben es freiwillig getan. Wenn es Opfer gab, haben sie das Risiko in Kauf genommen.«
    » Sie? Tatsächlich sie alle? Die Frauen unter den Hauben, die von ihren Haushaltsvorständen auf die Nussschalen Richtung Neuengland geschleppt wurden? Die Kinder an ihrer Hand? Die Auswanderer an Bord der ILLEMA, die ihr Ziel nicht erreicht haben? Sie wären alle freiwillig in Tod und Verderben gegangen?«
    »Sie hatten Hoffnung.«
    »Die habe ich auch, Vater. Was denn sonst?«
    Vater – wieso war er plötzlich nicht mehr Sham, schon gar nicht Dad? Und wieso dachte sie bei der Unzahl der Sternenkolonie-Geschichten ausgerechnet an die Familien an Bord der ILLEMA? Jenes Schiffes, das, unterwegs zu einem menschenfreundlichen Planeten, während eines Orientierungsaufenthaltes im Einsteinraum, von einem feindlichen Raumschiff abgeschossen worden war, sodass dem Piloten nur die Wahl geblieben war, auf der Extremwelt Oxtorne eine Notlandung zu versuchen?
    Er sah sie an.
    »Willst du sagen: So, wie damals die Aussiedler auf Oxtorne untergingen, um als Oxtorner wieder zu erstehen, so werdet ihr, neu formatiert von den Auguren, eines Tages zu neuen Menschen? Zu neuen Terranern?«
    »Sayterranern«, verbesserte Anicee. »Wie würde das klingen?«
    Er überlegte lange. »Ungewohnt«, sagte er schließlich.
    Wieder fiel ein faustgroßer Tropfen ins Bassin. Regelmäßig wie bei einer Uhr.
    Anicee gähnte. »Lass uns morgen reden. Du wirst morgen noch hier sein?«
    Beinahe hätte er lachen müssen. »Ja. Lass uns morgen reden. Wo kann ich schlafen?«
    Sie machte eine umfassende Geste. »Alles meins. Die Etage verfügt über zehn oder zwölf Schlafkuhlen und fünf Schlaf-Eier. Such dir etwas aus. Hotel Anicee.«
    »Nicht eher etwas wie eine Schatzhöhle? Wegen der Etage. Du weißt schon: die tausendunderste Etage. Wie in Tausendundeiner Nacht.«
    Sie lachte und schüttelte tadelnd den Kopf. »Es ist nicht mehr die Zeit, in der Wünschen noch geholfen hat.«
    »Offenbar nicht. Wo wirst du schlafen?«
    »Irgendwo«, sagte sie unbestimmt.
    Er fragte nicht weiter nach, sondern dachte darüber nach, ob er sie bitten sollte, ihn nicht zu verraten. Aber vielleicht hätte erst eine solche Bitte Anicee auf den Gedanken gebracht, dass es etwas zu verraten gäbe.
    Vielleicht schloss sie aus seiner Anwesenheit auf seine Berechtigung, sich in Anboleis aufzuhalten.
    Warum sollte er sie auf einen möglichen Loyalitätskonflikt aufmerksam machen?
    Er erschrak, als ihm bewusst wurde, warum er diesen Loyalitätskonflikt scheute: Vor die Wahl gestellt, würde Anicee sich nicht für ihren Vater entscheiden.
    Nicht für die Terraner.
     
    *
     
    Immerhin frühstückten sie am nächsten Morgen gemeinsam. Es dauerte nicht lange, und sie redeten wieder über die Situation im Solsystem. Anicee äußerte sich erfreut über die Abwesenheit Perry Rhodans, beinahe schadenfroh über die Ratlosigkeit des Residenten.
    Routh lag es fern, sich staatstragend zu äußern, aber er sagte: »Rhodan, Bull und so weiter – sie sind, was immer man gegen sie einwendet, eine moralische Instanz.«
    »Wahre Felsen in der Brandung«, spöttelte Anicee.
    »Was wäre falsch daran? Oder hältst du sie für korrupt?«
    »Korrupt?« Anicee überlegte. »Nein. Wenn sie nur korrupt wären, in irgendeiner Weise käuflich. Aber man kann sie nicht mehr kaufen. Sie gehören sich ja längst nicht mehr selbst. Schon den größten Teil ihres Lebens gehören sie nicht sich selbst. Sie sind unsterbliche Gliederpuppen; sie hängen an den unsichtbaren Fäden einer Superintelligenz. ES hängt an den Fäden der Kosmokraten. Die Regierung hängt wiederum an den Fäden der Unsterblichen. Die normalen Menschen, Menschen wie du und ich, werden von diesem ganzen Fadengewirr eingesponnen und merken es nicht.« Plötzlich lächelte sie ihn strahlend an. »Irgendwann hat mich das ganze Gespinst nur noch angeekelt. Ich wollte raus, raus.« Anicee machte eine unwillige Geste, als wollte sie all diese Fäden zerreißen.
    »So kann man es sehen. Man kann immer alles auch so sehen.«
    Anicee schüttelte langsam den Kopf. »Hast du je überlegt, ob immer der Felsen in der Brandung recht hat? Niemals die Brandung?«
    »Natürlich habe ich das«, sagte Routh leise.

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