PR 2647 – Der Umbrische Gong
übermittelte eine Großaufnahme. Sie rief das Personenarchiv auf und wurde sekundenschnell fündig.
Der Junge hieß Mernul Nokelainen. Bis zu seinem Verschwinden hatte er bei den Großeltern gelebt, die in Helsinki ein Ingenieurbüro betrieben.
»Der Umbrische Rat hat sich versammelt«, sagte er mit heller Stimme, die von unsichtbaren Akustikfeldern dezent verstärkt wurde. »Die Vollzähligkeit ist gegeben und wird von allen Anwesenden bezeugt.«
Wieder brandete Applaus auf, und wieder kam er fast ausschließlich von Seiten der Jugendlichen. Etliche stießen auch »Bravo!«-Rufe oder anfeuernde Pfiffe aus.
»So lasset uns eröffnen«, fuhr Nokelainen fort, nachdem wieder Ruhe eingekehrt war, »mit der Wahl unserer Sprecherin. Vorgeschlagen wird Anicee Ybarri. Gibt es Gegenkandidaten oder Einwände gegen sie, so mögen sie nun vorgebracht werden.«
Die übrigen Neoformatierten schwiegen. Aus dem Saal rief eine markante Stimme, die Phaemonoe als jene des Reporters Aksander Oskar vom Sender Augenklar erkannte: »Warum gerade Anicee? Weil bei ihr die Führungsrolle in der Familie liegt?«
Einige Schaulustige lachten. Einige Jugendliche zischten missbilligend.
Ein Mädchen mit brünettem, kurz geschnittenem Haar und grünbrauner Hautfarbe, das halblinks auf dem Podium saß, zog durch Heben der Hand die Aufmerksamkeit auf sich und sagte: »Wir ersuchen, den Ablauf der Primärtagung nicht durch unüberlegte Zwischenrufe zu stören. Widrigenfalls müssten Akustik-Abschirmungen zur Anwendung kommen. In absehbarer Zeit werden wir zu einer Pressekonferenz laden, bei der sämtliche dann noch offenen Fragen beantwortet werden.«
Das war Phaemonoe neu. Aber sie war ja auch nicht in die Planung der Veranstaltung eingebunden worden, sonst wäre diese mit Sicherheit anders abgelaufen.
Ihr entging nicht, dass sich unter ihren Journalistenkollegen Irritation ausbreitete. Was im Kosmopolitan-Opernhaus bisher geboten wurde, enttäuschte die Erwartungen: Anstelle hitziger Diskussionen oder wenigstens aufwendiger Showelemente bekamen sie bloß die altbekannten Tröten und eine Art spröder, unspektakulärer Liturgie vorgesetzt.
Einige Reporter blickten, Grimassen schneidend, zu Phaemonoe herüber. Sie breitete die Arme aus und signalisierte, dass sie nichts mit der Inszenierung zu tun hatte.
»Keine Einwände, keine Gegenkandidaten«, sagte Engelsgesicht Nokelainen, gänzlich unbeeindruckt von dem Zwischenfall. »Somit ist Anicee Ybarri als Sprecherin des Umbrischen Rates bestätigt.«
Phenubenklänge und Applaus, diesmal vielleicht ein klein wenig verhaltener als zuvor.
*
Im Sitzen, die langen Beine nonchalant übereinander geschlagen, hielt Anicee eine Ansprache, die kaum fünf Minuten dauerte.
Zu Beginn wiederholte sie, was sie bereits bei der Heimkehr-Feier im Dolan-Memorial-Park ausgesagt hatte: dass sie und die übrigen Mitglieder des Umbrischen Rates nicht mehr der Autorität der LFT-Regierung unterstanden, da sie seit ihrer Neuformatierung zwei Welten angehörten – nämlich nach wie vor Terra, doch ebenso der sayporanischen Kultur.
Deshalb nannten sie sich nun Sayterraner. Sie fühlten sich dank der Auguren bereit, Teil eines neuen, unabhängigen großen Ganzen zu werden, des Neuroversums.
»Die Regierung der Sayterraner im Neuroversum ist der Umbrische Rat. Er wird die Geschicke unseres im Entstehen begriffenen, jungen Staatswesens lenken, dessen Bezeichnung ab sofort lautet: Republik Formatiertes Terra Umbra, abgekürzt FTU.«
Anicee setzte eine Pause. Sie löste zwiespältige Publikumsreaktionen aus. Durch die lakonisch, fast herablassend vorgetragene Proklamation bildeten sich endgültig zwei Fraktionen.
Das Gros der Jugendlichen klatschte und jubelte weiterhin. Jedoch beteiligten sich längst nicht mehr alle an den Ovationen, in die sich jetzt auch Buhrufe und andere Missfallensäußerungen mischten.
Ungerührt schloss Anicee: »Das erste Regierungsziel des Umbrischen Rates ist die Einrichtung und Öffnung vieler zusätzlicher, stabiler Transit-Parkette. Zu welchem Zweck, werdet ihr euch denken können. Ich rufe die Jugend des Solsystems dazu auf, über diese Transit-Parkette den Schritt in ein besseres Morgen zu wagen und sich ebenfalls der Neuformatierung zu unterziehen. Seid ohne Furcht! Wie ihr an uns, den ersten einunddreißig, sehen könnt, sind die Auswirkungen ausschließlich positiver Natur.«
Phaemonoe hegte diesbezüglich Zweifel. Sie schätzte, dass sie damit nicht allein
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