PR 2647 – Der Umbrische Gong
war.
Anicee Ybarri freilich strahlte felsenfeste Überzeugung aus. »Die Einladung ergeht an alle Terraner, die jung genug dafür sind und mehr aus ihrem Leben machen wollen. Wir sind voller Zuversicht, dass ihr unserer Einladung folgen werdet. Und irgendwann, in gar nicht ferner Zukunft, werden wir Sayterraner in der Mehrheit sein. Das war's vorerst.«
*
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte, in verblüffend ähnlich ätherisch-kryptischer Weise wie die Auguren.
Phaemonoe lief es eisig den Rücken hinunter. Weniger wegen des Machtanspruchs, den die Neuformatierten erhoben – damit war zu rechnen gewesen. Aber die Kaltschnäuzigkeit, mit der Anicee Ybarri sich ausschließlich an ihre jugendliche Klientel wendete und den Rest der Bevölkerung vollkommen ignorierte, schnürte auch einer hartgesottenen Reporterin den Hals zu.
»Sprecherin, wir bitten dich, zum Abschluss noch einiges klarzustellen«, sagte Mernul Nokelainen, der Lockenkopf. »Beispielsweise brennende Fragen nach der Zukunft der Altterraner und Angehörigen von Fremdvölkern.«
»Selbstverständlich werden sie geduldet«, antwortete Anicee. »Ihnen soll kein Leid zustoßen. Sie werden an unserer Seite ein Leben in Wohlstand führen, wohlbehütet, friedvoll wie noch nie. Denn hier, in der neuen Enklave, sind wir sicher vor allen Gefahren des äußeren Multiversums, dieses ewigen Schlachtfeldes der Kosmokraten und Chaotarchen. Auf ebenso friedlichem und natürlichem Weg wird sich mit der Zeit, ganz von selbst, auch das Problem der Nichtformatierten lösen.«
Sie erntete zustimmende Heiterkeit seitens ihrer Anhängerschaft – während es der Minderheit der Skeptiker die Sprache verschlug.
Nun ergriff ein Junge aus der zweiten Reihe schräg hinter Anicee das Wort. »Viele beschäftigt auch die Frage, was mit der Sonne Sol geschehen wird.«
»Ich bin dir dankbar dafür, dass du dieses Thema ansprichst. Sol wird vorerst in die ultragravitationelle Ephemerfolie der Spenta gehüllt bleiben.«
»Kannst du kurz den Grund dafür nennen?«
Phaemonoe, die den gekünstelten Dialog fassungslos verfolgte, wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Welche Farce, welch Gaukelei, welch pseudo-demokratische Scharade!
Hier wurde keine große Oper aufgeführt, sondern ein erbärmliches Schmierentheater. Diese »öffentliche Tagung« war Lichtjahre entfernt von einer offenen Debatte. Stattdessen warfen die übrigen Ratsmitglieder ihrer Sprecherin bloß ein zuvor abgesprochenes Stichwort nach dem anderen zu.
»Die Details werden wir beizeiten erläutern«, sagte Anicee. »Aber seid gewiss, alles dient einem wohl abgewogenen Plan: das Solsystem vom Leichnam der Superintelligenz ARCHETIM zu befreien; die solare Menschheit aus ihrer Abhängigkeit von ES zu lösen – und uns Sayterraner nachhaltig vor dem Zugriff von Chaotarchen wie Kosmokraten zu bewahren! Haben wir uns das denn nicht alle schon lange gewünscht?«
*
Die denkwürdige Veranstaltung endete mit zwei Ankündigungen.
»Um ein ständiges, überall sichtbares Zeichen zu setzen, dass die neue Zeit angebrochen ist, lassen wir ab sofort die Strahlungsintensität des Sonnenpulks vermindern«, sagte Anicee Ybarri. »Keine Sorge, eine Fotosynthese wird nach der Modifizierung der Kunstsonnen weiterhin gut möglich sein. Aber wir tauchen Terra in ein angenehmeres, wärmeres, den Bedürfnissen der Sayterraner angepassteres Licht.«
Nicht wenige im Saal heulten auf, aber die Proteste erstarben schlagartig, wie abgeschnitten. Die Akustik-Abschirmungen waren in Aktion getreten.
»Und stimmt es«, fragte Goldlocke scheinheilig, »dass der Umbrische Rat und die Auguren der Republik Formatiertes Terra Umbra ein ganz besonderes Einstandsgeschenk machen?«
»Ja. Im Anschluss an unsere, wie ich finde, äußerst fruchtbringend verlaufene Tagung wird an prominenter Stelle ein Umbrischer Gong errichtet. Schon in wenigen Stunden wird er erstmals schlagen. Überall in Terrania wird der Umbrische Gong zu hören sein, bald auch in den anderen großen Städten. Ich danke für eure Aufmerksamkeit.«
Nachdem das Gedudel der Phenuben aufgehört hatte, das Bühnenlicht erloschen war und der Vorhang die Bühne wieder verhüllte, verließ Phaemonoe Eghoo das Kosmopolitan-Opernhaus in einem Zustand, der an Betäubung grenzte. Mehr als einmal stieß sie beinah mit anderen, ebenso verdatterten Leuten zusammen.
Sie fühlte sich, als habe man sie vor den Kopf gestoßen; nicht mit einem harten
Weitere Kostenlose Bücher