PR 2694 – Todeslabyrinth
bemerken.
Sie wenden sich mir zu.
Sie verharren.
Erschrocken sehe ich, dass ihre Zahl in die Hunderte gehen muss. Die Straßen ringsum, auch hinter mir, sind voll von ihnen. Ich habe gar nicht bemerkt, dass sie auch in meinem Rücken aufgetaucht sind.
Ich bleibe mitten auf einer Kreuzung stehen und räuspere mich.
Hebe die rechte Hand.
»Äh, hallo«, sage ich unbeholfen.
Meine Stimme schallt über den Platz. Die Häuser schweigen. Ich spüre, wie sich meine Nackenhaare aufstellen, und mir wird auf einmal kühl.
Das war jetzt ein Fehler, sagt etwas in meinem Inneren.
»Könnt ihr mir etwas sagen?«, fahre ich fort, denn nun, da ich schon hier bin und ihre Aufmerksamkeit habe ... Verstecken kann ich mich sowieso nicht mehr. »Ich wüsste gern, wie ich zum Zentrum komme ...«
Genau, nicht gleich überfordern, mit einer unbefangenen Frage beginnen, der Rest ergibt sich dann von allein.
Habe ich das eigentlich mal gelernt? Die richtigen Fragen zum richtigen Zeitpunkt zu stellen? Es kommt mir so vor. Was habe ich wohl vorher getan?
Ich erhalte keine Antwort, niemand regt sich. Ich versuche, die Gestalten deutlicher zu erkennen, aber das ist nicht möglich. Sie sind diffus, wirken ... unfertig.
Ja. Die Konturen sind da, aber sie haben keine Augen, keine Nase, keinen Mund.
Dennoch sehen sie mich an.
Und ich merke, wie mir das Herz samt dem Rest meines Mutes nach unten rutscht, ganz tief hinunter, noch tiefer, bis es haltlos auf den Boden klatscht.
Denn nun bewegen sie sich doch.
Sie kommen auf mich zu.
Ich drehe mich hektisch im Kreis, entdecke eine Lücke und sause los.
*
Angst, Angst, Angst.
Ich renne, so schnell ich kann. Ich renne, weil es so still ist, weil die Häuser schweigen und sich auf einmal wie Häuser benehmen, starr und gerade stehen, himmelwärts. Ich renne, weil ringsum so viele unfertige Gestalten sind, denen mein Aussehen mit Nase und Mund und Augen, Ohren und ... einfach allem nicht gefällt. Wahrscheinlich nehmen sie mich als Bedrohung wahr, und deswegen bedrohen sie nun mich.
Ich habe solche Angst, dass ich kaum mehr Luft kriege, obwohl meine Beine überhaupt nicht müde werden und von selbst weiterlaufen. Kein Seitenstechen, nichts, lediglich die Angst schnürt mir die Kehle zu, aber rennen kann ich weiterhin.
Sie bleiben mir auf den Fersen. Und es werden mehr, immer noch mehr. Was werden sie mit mir machen, wenn sie mich einholen? Noch sind sie langsamer als ich, noch kann ich Haken schlagen, doch wohin soll ich mich schon wenden, wenn die ganze Stadt voll ist mit ihnen?
Auf Dauer kann ich ihnen nicht entkommen, nicht, solange ich den Trick mit den Häusern nicht herausgefunden habe. Immer wieder springe ich gegen eine aufgemalte Haustür, kratze an den Wänden, flehe um Einlass. Und hetze weiter, weil ja doch kurz darauf jemand herauskommt. Ein weiterer Schemen, der aussieht, wie sie alle aussehen. Ein bisschen Kontur, ausgefüllt mit wirbelnden Strichen wie von einer Zeichnung.
Komme ich denn überhaupt vom Fleck? Renne ich nicht dauernd im Kreis?
Es ist ein Albtraum, ein echter, wahr gewordener Albtraum, der mich gefangen genommen hat. Der mich nicht mehr freigibt.
Ich schluchze laut vor Angst. Aus unerklärlichen Gründen weiß ich, sie dürfen mich nicht kriegen, mich nicht berühren, dann wäre alles zu Ende.
Mein Vorteil ist und bleibt, dass ich schneller bin als sie. Aber ich kann nicht ewig so herumlaufen, immer nur auf der Flucht, niemals verweilend.
»Hilfe!«, rufe ich, völlig panisch. Damit mache ich bestimmt alles schlimmer, aber ich kann nicht anders. »Bitte, kann mir jemand helfen? Ich möchte doch nur ... ich will nichts Böses ...«
Ach, was brabble ich denn da, wer sollte mir schon helfen? Und ich bin auch noch selbst schuld, was wünsche ich mir denn eine Veränderung! Könnte das nicht mal andersherum funktionieren? Ich wünsche mir diese Gestalten fort – und alles wäre wie vorher?
Abrupt bleibe ich stehen und schreie: »Fort mit euch! Geht! Verschwindet! Dorthin, wo ihr hergekommen seid! Ich will euch hier nicht sehen!«
Bevor ich damit fertig bin, weiß ich, das wird nicht funktionieren. Tut es nie.
Also werde ich weiterlaufen und einen neuen Plan schmieden, was bleibt mir schon?
Dazu werde ich erst mal die Richtung ändern, das verwirrt sie bestimmt. Ich muss unberechenbar bleiben, nur so kann ich ihnen entkommen.
Ich werfe mich herum – und genau in einen Schemen hinein. Ich habe sein Nahen nicht bemerkt.
Ich falle durch ihn
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