PR 2694 – Todeslabyrinth
und auch wieder nicht.
Sicher halluziniere ich. Irgendwelche Nebenwirkungen, was auch immer, die mich so »daneben« fühlen lassen.
Also, umgesehen und dann flott den Weg beschritten.
Das ist nicht Terrania.
*
Es könnte Terrania sein. Wobei ich nach der unverwechselbaren Silhouette der Stahlorchidee vergeblich suche. Und vor allem: Wo ist Sol? Der Himmel ist wachsbleich, das Licht trüb, es ist keinerlei Sonne oder Mond, auch kein Stern zu entdecken. Ist nun »Tag« oder was sonst? Ändert sich das Licht an diesem Ort jemals?
Kein Vogel am Himmel, kein Gleiter. Das gibt es doch gar nicht! In Terrania herrscht eine unglaubliche Verkehrsdichte. Permanent, Tag und Nacht, vierundzwanzig Stunden täglich, an sieben Tagen der Woche, bei jedem Wetter.
Aber über dieser Stadt liegt nur ein Leichentuch. Schauerlich. Ich mag da nicht hochsehen.
Wobei die unteren Regionen der Stadt nicht besser sind.
Alles ist blass und in verschiedenen Grauschattierungen gehalten, durchsetzt von ein bisschen Rosa da und ein bisschen Fahlgelb dort. Ich befinde mich eindeutig in einer Stadt, denn da sind gigantische Häuser um mich. Aber sie sehen alle irgendwie gleich aus. Hochgeschossene rechteckige Türme mit vielen Fenstern. Aber ich glaube, die Fenster sind nicht echt. Sie sind einfach nur dunkel aufgemalte Vierecke.
Und ich muss wirklich ziemlich halluzinieren. Denn die Häuser ... bewegen sich. Sie wiegen sich wie Baumwipfel im Wind, den ich allerdings gar nicht spüre. Sie biegen sich durch und schwingen anmutig. Und dazu singen sie.
Ja, wirklich! Ich kann nicht erklären, was das für Stimmen sind, ich habe solche Geräusche nie zuvor gehört. Doch es ist eine Melodie, bei jedem Haus für sich, denn keine gleicht der anderen, und ein Rhythmus ist erkennbar. Wie ein Wind, der durch eine, nein Hunderte Äolsharfen pfeift. Die Klänge sind die Worte, doch ich kann sie nicht verstehen.
Die Häuser unterhalten sich auf diese Weise miteinander, neigen sich einander zu oder auch voneinander weg. Die Bewegungen scheinen unkoordiniert und willkürlich, aber sie kommen sich niemals zu nahe, stoßen keineswegs zusammen.
»Herr Jemand«, sage ich zu mir, »du hast da ein echtes Problem.« Ich tippe mit der Fingerkuppe gegen meine Stirn. »Übergeschnappt, eindeutig.«
Die Aufgabe lautet also: Ich muss hier raus.
Aber ist das denn möglich? Ich gehe die Straße entlang, einfach irgendeine Richtung, denn ich glaube, es bedeutet keinen Unterschied. Eine Menge Kreuzungen, von denen viele weitere Straßen abgehen. Manche verlaufen gerade, andere krümmen sich. Es gibt keine Orientierung.
Es ist ein Irrgarten.
Nein, korrigiere ich mich gleich, bevor ich in Panik gerate, und klammere mich an die Notlüge: Es ist ein Labyrinth. Es muss ein Labyrinth sein, auch wenn es Kreuzungen gibt, denn in einem Labyrinth führen alle Wege ins Innere und einer zum Ziel. Man findet ihn, indem man die Sackgassen ausschließt. Man folgt dem verwirrenden Weg, doch es ist einer – nur einer da.
Ein Irrgarten ist viel schlimmer. In ihm kann ich für den Rest meiner Existenz – denn Leben kann man so etwas nicht nennen – im wahrsten Sinne des Wortes umherirren, ohne je einen Ausgang, das Zentrum, den Anfang zu erreichen. Ich laufe und laufe und komme nirgends an. Ich komme nicht vorwärts wie in einem Albtraum, in dem das Monster hinter mir her ist und der Grund unter mir, über den ich fliehen will, immer zäher wird.
Na ja, wenn man es genau nimmt, ist das hier auch ein Albtraum.
Ob Irrgarten oder Labyrinth, ganz gleich, auf der Stelle verharren bringt mich erst recht nicht weiter. Klar, ich kann mich hinsetzen und nichts tun. Aber ich wage zu bezweifeln, dass mich das dahinraffen und ins Vergessen führen wird.
Denn ich verspüre keinerlei Bedürfnis. Mein Körper, obwohl er mir lebendig erscheint, hat sämtliche Funktionen eingestellt. Kein Hunger, kein Durst, keine Verdauung. Bin ich etwa in einem Cyborg-Körper?
Ach was, da ist kein Metall unter der Haut. Bin mir nicht mal sicher, ob da überhaupt Knochen sind.
Also bin ich gar nicht da, es ist eine Halluzination, ein Alb- oder Traum?
Auch dann muss ich durch das Labyrinth, um den Weg nach draußen zu finden. Mich einfach aufwecken funktioniert nicht. Noch dazu habe ich nie zuvor luzide Träume gehabt. – Halt, woher weiß ich das? Ich runzle die Stirn. Kam mir wohl einfach so in den Sinn ...
»Herr Irgendwer«, sage ich zu mir, »du hast da ein wirklich ganz enormes
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