PR 2695 – Totenhirn
Grünblau, hängend, träumend, steif von der Kälte, um erst in der Dämmerung aktiv zu werden und ein ruhiges, genügsames Leben zu führen.
Chimao richtete sich auf. Hinter ihm röchelten die Frauen erstaunt. Nur selten glitt er derart früh in die Aktivitätsphase, in das Agalaria. Sie freuten sich! Er hörte, wie ihre Gelenke knackten, wie die krummen Beine durchgestreckt wurden und die Buckel verschwanden.
Beinahe streifte er die Decke mit dem Kopf. Sein rechter Arm glitt die Wand des Ganges entlang, und am liebsten hätte er auf sie eingeschlagen.
Warum gab es keine Haisen zum Jagen? Chimao benötigte etwas, um die sich anstauende Wut zu besänftigen. Er musste ... musste ...
Da waren die Sammelorte der Beschaulichkeit. Pirlo Mnacem wartete bereits. Er scheuchte die Siebenergruppen in die einzelnen Winzkavernen, Robothelfer verschlossen sie hinter ihnen.
»Du siehst gut aus!« Der Stellvertreter schnaufte. Er hatte große Mühe, sich zu beherrschen. Ihm zitterten die Knie. Kein Wunder: Er war umgeben von anderen Dosanthi, die eben in einen Zustand der Wutangst fielen.
»Gib uns einen Platz!«, forderte Chimao.
»Die Beschaulichkeit wartet auf euch«, sprach Pirlo Mnacem.
Sie benötigten Riten. Diese immer wiederkehrenden Worte und Zeilen von Texten, die vor Tausenden Jahren erstmals gesprochen worden waren. Sie waren wie Leitlinien, denen sie folgten und die sie vor dem Wahnsinn bewahrten, der mit Angst und Wut oft einherging.
Jemand redete. Es war die Stimme eines Xylthen. Das Fremdwesen redete von einem »Durchgang«, von »nahenden Feinden«, von »hyperenergetischen Verwerfungen« und von »Risiken«.
Es waren Worte ohne Sinn. Chimao war so Calanda wie selten zuvor. Es interessierte ihn nicht, was dort draußen geschah, in dieser schrecklichen schwarzen Leere. Er wollte bloß die Wutangst loswerden, sich entleeren, um dann wieder an die Wand zurückkehren zu können, frei von allem.
Dösen. Träumen. Keine Sorgen mehr haben. Das war alles, wonach Chimao sich sehnte. Und um das zu bekommen, musste er kämpfen.
Er betrat das Zentrum der Beschaulichkeit und blieb schockstarr stehen. Es war wie jedes Mal: Er fühlte sich allein gelassen, und alles in ihm sehnte sich danach wegzulaufen.
Doch wohin? – Rings um Chimao war nichts, wohin er sich wenden konnte. Alles, was er sah, war abstoßend.
Die sechs Frauen seiner Siebenergruppe drängten näher. Eine nach der anderen berührte ihn. Sie traten so eng wie möglich zusammen, mit ihm im Zentrum. Metallgitter umfassten sie. Mit einem lauten Klacken schnappten sie ein. Sie bekamen kaum noch Luft. Chimao blickte in die Schlitzpupillen von dreien seiner Begleiterinnen, die anderen standen hinter ihm.
Es war grässlich kalt. Es war laut. Es stank nach Oberfläche. Helles Licht flammte auf und blendete sie. Strahlen einer künstlichen Sonne ließen sie aufstöhnen.
Die Beschaulichkeit war der grässlichste Ort, den man sich vorstellen konnte.
Ein Bildschirm erwachte zum Leben Dann noch einer und noch einer, so lange, bis Chimao gänzlich die Orientierung verloren hatte. So viele Bilder, so viele Szenen. Alle waren sie einander ähnlich und doch wieder ganz anders. Sie zeigten Raumschiffe, Zapfenraumer, die einzeln oder in Pulks dahinschwebten. Einige waren mit roten Punkten gekennzeichnet, andere blieben unbeachtet.
Eines der Schiffe wurde hervorgehoben. Ihrer aller Sinne richteten sich auf diesen einen Raumer. Seine Größe war nicht abschätzbar; doch Chimao vermutete, dass er dieselben Maße wie die GONZACK aufwies.
Dort drüben sitzen Dosanthi wie wir!, kam eine vage Erinnerung hoch.
Doch sie war rasch wieder weg. Die Beschaulichkeit brannte sie ihm aus dem Kopf, indem sie weitere Bilder lieferte. Solche von offenem Land, von gewaltigen Ozeanen, von weiten Flächen.
Chimao wollte sich ducken. Doch er war im Agalaria. Es gab kein Zurück, zumal sie aneinandergeklammert dastanden, allesamt voll Hass und dieser grässlichen Angst.
Es war kaum auszuhalten. Sie schnauften und stanken. Schweiß trat zwischen den Lamellen hervor, verteilte sich auf ihren Körpern, durchnässte die Gewänder.
Die Gegenwart der Frauen machte Chimao rasend! Er wollte nicht hier sein. Sein Sexualtrieb war chemisch gedämpft, schon seit Wochen, und er wollte ihre Drüsenmilch nicht an seinem Leib hinabtropfen fühlen.
Oh, wie er hasste!
Stimmen verhöhnten ihn. Jemand schimpfte ihn einen »perversen Mooslecker« und einen »kurzkrummigen Stängelhalter«. Ein Chor
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