PR 2695 – Totenhirn
auszulösen.
»Sie formieren sich neu«, sagte Baeting. »Unser Angriffsmanöver überrascht sie nicht so, wie es sein sollte.«
Bull nickte. Er interpretierte die Bilder und Daten ähnlich wie der Kommandant der LEIF ERIKSSON. »Das ist bloß eine Momentaufnahme«, gab er zu bedenken. »Aber wir müssen endlich herausfinden, wo das Oberkommando von QIN SHIS Truppen sitzt.«
Seit dem Eintritt in den Normalraum suchten sie nach dem Flaggschiff ihres Feindes. Nach dem Kopf der Bestie. Doch die Truppen der Terraner standen sich selbst im Weg. Die Panik, die sie verursachten; der Furor, mit dem sie über die Feinde kamen – dies alles erzeugte ein Chaos, in dem es kaum möglich war, ein Raster zu erstellen und den gegnerischen Kommandanten zu identifizieren!
»Weitermachen!«, befahl er. »Nur nicht nachlassen!«
Wieder war da der Gedanke an das Schicksal »ihrer« Dosanthi. Die seltsamen Wesen gingen an ihre psychischen Leistungsgrenzen, während sie ihr eigenes Volk bekämpften. Bislang hatten sie es hauptsächlich mit Einheiten zu tun gehabt, deren Besatzung mehrheitlich aus Xylthen bestand.
An Bord mehrerer LFT-BOXEN wurden Ortungs- und Funkergebnisse im großen Stil analysiert und die Ergebnisse an die Kommandanten ihrer Verbündeten weitergegeben. Sie schossen die schwächsten Mitglieder aus den feindlichen Pulks, um sich anschließend den besser gerüsteten zu widmen. Es war eine Taktik mit Jahrtausenden der Tradition; wohl die älteste, die Menschen jemals angewandt hatten – und nach wie vor die effektivste.
Der Prozentzeiger rutschte auf zweiundvierzig. Gleichzeitig stieg die Anzahl vernichteter eigener Schiffe, ausschließlich Zapfenraumer, rasant an.
»Was ist los?«, fragte Baeting irritiert.
»Das, was unausweichlich ist«, antwortete Bull ruhig. »Der Gegner stellt sich auf uns ein. Er geht in die Gegenoffensive. Viel zu früh für meinen Geschmack. Sie gehen uns nicht mehr so leicht auf den Leim.«
»Irgendwann wirst du mir erklären müssen, was Leim ist.« Baeting wandte sich ab und ließ Kampfexpertisen erstellen.
Der Oberst war ein ausgezeichneter Analytiker. In ihm vereinte sich phänomenales strategisches Wissen mit dem Instinkt eines Raubtiers. Darüber hinaus besaß er alle Fähigkeiten, die einen erfolgreichen Feldherrn ausmachten: soziale Kompetenz im Umgang mit seinen Untergebenen. Härte, die er in den wichtigen Momenten ausspielte. Ein Quäntchen Rücksichtslosigkeit, ein wenig Hintertriebenheit. Und das völlig emotionslose Gehabe in der Schlacht.
Bull gab Anweisungen, die auf Baetings Ratschlägen beruhten – und dennoch von einer gewissen Verrücktheit gekennzeichnet waren. Er arbeitete an manchen Teilen der Front mit unmäßigen Risiken, während er an anderen konservativ, fast vorsichtig agierte. Er ließ Schiffe, Pulks und größere Flottenteile hin und her schieben und verdrängte dabei tunlichst die Gedanken an deren Besatzungen. Sie waren Werkzeuge. Figuren in einem Spiel.
Irgendwann würde er dafür büßen müssen. Doch nicht an diesem Tag, in dieser Schlacht. Er ließ morden, und er ließ sterben, um das Solsystem zu bewahren.
Leutnant Wabuthu sandte ihm einen virtuellen Alarm-Marker, der kurz vor seinem Kopf aufblitzte. Er registrierte ihn mit einem Nicken und schaltete ihn dann weg, um sich neuerlich mit Oberst Baeting zu besprechen und gemeinsam weitere Befehlsketten auszuarbeiten.
Die Unberechenbarkeit seiner Anweisungen brachte selbst die Bordpositronik an die Grenzen ihrer Kapazität. Alles, was er sagte, musste auf die Manöver von über vierzigtausend Schiffen umgelegt werden und nicht nur das: Auch das Miteinander des Flottenverbandes spielte eine gehörige Rolle.
»Dreiundvierzig Prozent Erfolgsaussichten«, sagte jemand. »Eigene Verluste: hundertneunzehn Einheiten. Die des Feindes: tausenddreißig.«
Es war der »Bull-Faktor«, der nun zum Tragen kam. Seine Erfahrung und seine Risikobereitschaft. Ein geringes Maß an Wahnsinn.
Er löste sich aus den virtuellen Darstellungen, die ihn umgaben, und kehrte in die Bordrealität zurück. Ein kleiner Roboter kühlte mit einem Körpergebläse seine Stirn, ein anderer hielt Augentropfen, Taschentücher, Kopfschmerztabletten und andere Dinge bereit.
»Wabuthu, was gibt's?«, fragte Bull, nachdem er einige schiffsinterne Routinearbeiten abgehakt hatte. Seine Gedanken galten bereits wieder der tobenden Schlacht. Sechzig Sekunden Erholung waren alles, was er sich an Erholung gönnte, während Baeting
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