PR 2705 – Die Sippe der Würdelosen
Art atmosphärische Störung. Eine Ahnung, dass etwas nicht so war, wie er es gern gehabt hätte.
»Drei Treffer!«, meldete NEMO. Und gleich darauf: »Begleitschiff vier und fünf wurden ebenfalls abgeschossen. Eine der mittelgroßen Einheiten wurde vollends zerstört.«
Bull fühlte Betroffenheit. Er wusste nicht, wie viele Wesen eben gestorben waren. Doch er hatte wenig Verständnis dafür, derartige Zahlen unnötigerweise in die Höhe zu treiben.
Die Verfolger näherten sich. Fünf onryonische Kugelraumer, die noch kampfbereit waren. Gewiss wussten sie bereits, dass ihre Aussichten schlecht waren. Doch sie ließen nicht ab. Jenes kleine Schiff, das sie beschützen sollten, repräsentierte offenbar einen Wert, der sie bis zum Letzten kämpfen ließ.
»Feindeinheit abfangen«, sagte Danzao. Er blickte Bull fragend an.
»Die Enterkommandos sollen sich bereithalten.« Der Unsterbliche sah ein Licht aufblinken. Er wurde informiert, dass Major Ernest Snijden die Aufbringung des gegnerischen Schiffs übernehmen würde. Er verfügte über die Besatzungen eines Dutzends Space-Jets, flankiert wurden seine Bemühungen von Korvetten der PHOBOS-Klasse und zwei Jagdkreuzern der DIANA-Klasse mit den Eigennamen NAUTILUS III sowie NAUTILUS V. Die Beiboote schleusten aus, während sich das Mutterschiff den letzten verbliebenen Gegnern zuwandte.
Ihre technische Überlegenheit war groß; aber doch nicht so sehr, dass man sich des Siegs sicher sein konnte. Nach wie vor wurde in der Zentrale höchst konzentriert gearbeitet.
Zawatt lag mit weit aufgerissenen Augen in seinem Stuhl, der Kopf war eingefasst von der SERT-Haube. Er litt. Nicht nur, weil sein Geist überbeansprucht wurde, sondern auch, weil das Ausschleusungsmanöver der Beiboote ein höchst unangenehmer Vorgang für ihn war. Zawatt hatte ihm einmal erklärt, dass er in manchen Momenten der Arbeit gezwungen war, sein gesamtes Wesen mit der JULES VERNE zu verschmelzen. Wurden Kreuzer, Korvetten und Space-Jets ins Weltall entlassen, fühlte er eine Art Geburtsschmerz, der mit tiefer Trauer verbunden war. Er verlor dann einen Teil seines Selbst.
Weitere Geschosse der Antimaterie-Waffe der Onryonen taten ihre Wirkung. Fein verästelte Aufrisse gewährten Einblicke in einen Raum jenseits des Raumes. Hinter, über, vor oder neben dem Normalraum war etwas ... anderes. Etwas, das sie nun zu sehen bekamen, von Kameras in surreal wirkende Bilder umgesetzt, die bei vielen Wesen ein Gefühl der Übelkeit auslösten.
»Schirmbelastung bei fünfundvierzig Prozent«, meldete NEMO.
»Bereitet dem ein rasches Ende.« Bull wandte sich ab und gab vor, sich mit mehreren Schreibfolien zu beschäftigen. In Wirklichkeit starrte er ins Leere. Die Onryonen forderten sie heraus und setzten Terra mit Mitteln unter Druck, die keinesfalls gutzuheißen waren. Aber rechtfertigte das den Überfall, den sie auf diesen Schiffskonvoi unternahmen?
»Erledigt«, sagte Danzao nach nicht einmal einer Minute. »Unsere Gegner sind schrottreif geschossen, die Waffensysteme so weit wie möglich zerstört. Die kleine zentrale Schiffseinheit der Onryonen wird eben mit Traktorstrahlen eingefangen. Die Enterkommandos sind unterwegs.«
»Danke!« Bull nickte.
»Wir konnten nicht verhindern, dass zwei Notrufe ausgeschickt wurden.«
Danzao wirkte schuldbewusst. Der Oberst galt als Perfektionist, der sich selbst über die geringsten Fehler ärgerte.
»Das stand zu befürchten«, sagte Bull. »Wir müssen also jederzeit davon ausgehen, dass weitere Raumschiffe der Onryonen auftauchen. Snijden soll beim Entern mit der notwendigen Vorsicht vorgehen, sich aber auch sputen. Primärziel ist, den Befehlshaber des Raumers ausfindig zu machen und lebend an Bord der JULES VERNE zu schaffen. Wenn Snijden und seine Leute Gelegenheit finden, sollen sie eine Rechnereinheit isolieren und für weitere Untersuchungen ebenfalls herbeischaffen. Über das übliche Prozedere ist er sich ohnedies im Klaren, nicht wahr? Wir müssen so viel wie möglich über die Onryonen in Erfahrung bringen. Über ihre Lebensumstände, das soziale Gefüge, die Technik – was auch immer.«
Bull wiederholte, was ohnedies zum Standardprozedere einer Enteraktion gehörte. Der entscheidende Faktor an Bord eines fremden Schiffes war, sich so rasch wie möglich zurechtzufinden, die Infrastruktur zu verstehen und Widerstand gegebenenfalls zu brechen. Snijden war der richtige Mann dafür. Er galt als bestens ausgebildeter Taktiker, der kompromisslos
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