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PR 2707 – Messingträumer

PR 2707 – Messingträumer

Titel: PR 2707 – Messingträumer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wim Vandemaan
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Natürlich war Dhayqe der Einladung des Sozialartisten gefolgt, eine Kostprobe der atopischen Gerechtigkeit zu geben. Zennor sah missmutig zu, wie Beathan die Stufen hinabschritt. Und wie er schritt! Er hatte das Schreiten offenbar zu einer Kunst entwickelt.
    Was für ein Pfau, dachte Zennor. Ohne sich umzusehen, winkte Beathan dem Tesqiren, ihm zu folgen.
    Zennor saß inmitten des Publikums, sichtbar, er hatte den SERUN auf Camouflage-Modus gestellt. Für Außenstehende sah es aus, als trüge er wollig-bunte Freizeitkleidung und Handschuhe aus hauchdünnem Shinou-Leder.
    Es war Zennor überraschend leicht gefallen, mit dem SERUN in das Sendegebäude zu gelangen. Die Sicherheitsvorkehrungen waren, was der Sender als liberal bezeichnen mochte. Zennor hätte sie eher lasch genannt.
    Dhayqe und Beathan standen in dem leeren Rund, einer Scheibe, die keine zwanzig Meter durchmaß. Auf ein Fingerschnippen des Sozialartisten hin aktivierte sich die Scheibe und rotierte langsam. Kurz darauf leuchtete sie in einem sanften, abendlichen Rot auf.
    Holografische Bilder wuchsen aus der Drehscheibe wie Seifenblasen aus dem Blasring, erst blass, dann in satten Farben und dennoch transparent wie helle Edelsteine.
    Eine Wiese, Ginkgo-Bäume in strahlendem Herbstlaub, ein Bach, ein einfaches Holzhaus. Ein Mann, gekleidet in ein ungeknöpftes Hemd und einen einfachen Rock, der fast bis zu den Knöcheln fiel, wanderte aus einer unbestimmten Ferne ins Bild. Er stieg eine Anhöhe hinab und hielt auf das Haus zu.
    Beathan flüsterte – aber so, dass es für jedermann hörbar blieb: »Dies ist Oba Zenkai, Sohn eines Samurai. Er ist einen weiten Weg gekommen. Soeben betritt er Edo, das Flusstor, die Hauptstadt des Reiches.«
    Das Holo griff nicht über den Rand der Scheibe hinaus, dennoch meinte Zennor, tief in die verwinkelte Stadtlandschaft einer präastronautischen, aus Tausenden von Holzhäusern zusammengewürfelten Metropole zu schauen, alles untermalt von den leisen Erläuterungen Beathans.
    Die Straßen, Gassen und Plätze waren bevölkert mit Händlern, Wasserträgern, Flaneuren, Beamten, schönen Huren und jungen Gaffern, die ihnen, feixend und einander in die Seite boxend, nachliefen, die Münder der Frauen rubinrote Leuchtfeuer, das Gesicht weiß von Oshiroi-Paste. Bonzen sangen ihre Litaneien in Pali. Talisman-Verkäufer boten bestickte Stoffbeutel an, darin wohlmeinende Papierstreifen, der Fetzen Haut einer Albino-Schlange oder ein winziger Penis aus Gold; Go-Spieler setzten und fingen Steine in den Teehäusern; Kinder spielten Das Essen ist gar oder Herr Tanaka steht heute nicht mehr auf. Edos fließende Welt.
    In all dem Getriebe fiel es Zennor dennoch leicht, Oba im Auge zu behalten. Oba grüßte und wurde gegrüßt. Auch Beathan und der Tesqire waren Teil der Szenerie, blieben aber für die Holos anscheinend unsichtbar.
    Man hörte keinen Laut, das Spiel blieb eine Pantomime. Beathan untertitelte die Szenerie weiterhin mit seinen Erläuterungen:
    »Hier sieht man, wie Oba der Gehilfe eines Beamten wird. Er verliebt sich in dessen Frau. Sie verliebt sich in ihn. Die beiden werden ertappt. Der gehörnte Beamte greift zum Schwert. Oba verteidigt sich. Oba, Sohn eines Samurai, ist geschickt mit dem Schwert. Da! Er tötet den Beamten. Er flieht mit dessen Frau – dessen Witwe – aus Edo.«
    Die Szene verwandelte sich. Das Paar trat eigentlich auf der Stelle, aber da die Scheibe sich drehte, sah Zennor die beiden bald in einem Wald, bald in einem Fischerdorf, schließlich in dem heruntergekommenen Vorort einer unbedeutenden Stadt.
    »Die Frau verlangt nach schönen Dingen. Oba wird ihr zuliebe zum Dieb. Die Gier der Frau stößt Oba mehr und mehr ab. Er verlässt sie und reist in eine ferne Provinz; er wird zum Bettelmönch. Er will Buße tun.
    Ein Weg führt von dem Dorf, in dem er nun lebt, über die Klippen zum nächsten Dorf. Der Weg über die Klippen ist ein gefahrvoller Weg. Viele Wanderer haben dort ihr Leben verloren.«
    Zennor sah Beathan und den Tesqiren auf dem beängstigend schmalen Weg stehen, hoch über dem Meer. Wellen krachten gegen den Felsen, Gischtflocken wirbelten auf wie Schnee aus der Unterwelt. Oba stieg ihnen, eine Hacke auf den Rücken geschnallt, einige weitere Werkzeuge am Gürtel, aus dem Dorf entgegen.
    Auf dem Pfad hoch über den Klippen angekommen, hielt er kurz inne. Er schaute aufs Meer hinab, wandte sich ab, legte seine Hand prüfend an den Felsen, griff zur Hacke und schlug auf den Stein

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