PR 2707 – Messingträumer
ein.
Beathan sagte: »Oba gräbt einen Tunnel durch das Gestein. Jahr um Jahr. Manchmal bettelt er im Dorf um Reis und Fisch. Dann arbeitet er wieder viele Tage. Dreißig Jahre lang. Aber er hat den Tunnel längst nicht vollendet, da trifft eines Tages der Sohn des Beamten, den er erschlagen hat, im Dorf ein und erkundigt sich nach Oba. Dieser Sohn ist mittlerweile selbst ein kampferprobter Samurai. Er spürt Oba auf, um ihn zu töten.«
Oba und der Samurai standen einander gegenüber. Oba verneigte sich. Beathan sagte: »Oba sagt: ›Töte mich. Aber bitte, lass mich den Tunnel beenden. Wehren werde ich mich nicht, heute nicht und später nicht.‹
Der Sohn schenkt ihm die Zeit. Monate vergehen. Der junge Samurai langweilt sich. Er geht Oba zur Hand. Gemeinsam arbeiten sie. Schließlich brechen sie durch. Oba legt die Hacke weg und sagt: ›Meine Arbeit ist getan. Nun kannst du mich töten.‹«
Das Holo hielt an. Oba und der Samurai standen wie eingefroren und wurden durchscheinend. Beathan lächelte Dhayqe herausfordernd an.
»Fäll dein Urteil«, forderte er den Tesqiren auf. »Zeig uns die Gerechtigkeit des Atopischen Tribunals.«
Gut so, dachte Zennor befriedigt. Stell ihn zur Rede.
Das Holo der Oba-Figur glitt auf den Tesqiren zu und hielt ihm das Schwert hin.
Die Symbolik der Szene war schlicht: Dhayqe sollte an die Stelle des Sohnes treten.
Dhayqe streckte spielerisch die Hand aus und ergriff das Heft. Das holografische Schwert ließ sich führen. Die Oba-Figur fasste ihr Haar, hob es über den Kopf, verneigte sich und bot Dhayqe den entblößten Nacken.
Für einen endlosen Augenblick schwebte das Schwert über dem Hals von Oba. Zennor spürte die Spannung im Publikum, und er war selbst gespannt.
»Ich bin kein Atope«, sagte der Tesqire. »Aber ich habe ihre Urteile gehört, die manche mit einem Blitz in der Nacht vergleichen. Ich dagegen habe mich nie geblendet gefühlt von der Weisheit ihrer Entscheidungen. Ich habe das Licht, das ihr Urteil auf das Wesen der Dinge wirft, sanft gefunden und erleuchtend.« Er ließ mit einer respektvollen Geste das Schwert sinken, verneigte sich vor Oba und sprach: »Wie könnte ich meinen Meister töten?«
Einen Moment herrschte Schweigen. Dann klang vereinzelt Applaus auf, der sich, wenn auch zögerlich, weiter und weiter ausbreitete.
Forbeis Beathan breitete beide Arme aus, trat einen Schritt zur Seite und klatschte dem Tesqiren Beifall.
»Aber ...«, sagte Dhayqe in diesem Moment.
Nach und nach verhallte der Beifall wieder. Zennor spürte, wie eine leichte Irritation die Zuschauer erfasste. »Aber das wäre natürlich die Lösung, die in dieser Erzählung selbst vorgetragen wird. Denn die archaische Form der Figuren und die lehrhafte Anlage der Fabel lassen mich vermuten, dass wir es mit einer alten terranischen Legende zu tun haben, in deren Logik dieses Verhalten des Sohnes beschlossen liegt. Nicht wahr?«
Beathan verneigte sich mit anerkennendem Spott. »Euer Ehren haben es trefflich formuliert. Ja, es ist eine alte terranische Legende. War sie dir bekannt?«
Dhayqe hob das holografische Schwert wieder an und setzte dessen Spitze auf die Brust der Oba-Figur.
»Oba hätte also viele Leben gerettet. Bravo. Aber wiegen diese vielen Leben das Leben des Beamten auf? Der Beamte wird in dieser Geschichte zur Nebenfigur. Nicht einmal einen Namen darf der Erschlagene tragen. Auch seine Frau wie sein Sohn bleiben namenlos. Die Geschichte wirft alles Licht auf Oba. Die Geschichte lässt Oba glänzen in seiner Demut.«
Zennor ertappte sich dabei, wie er nickte. Hatte der Tesqire nicht recht?
»Und die Frau? Wie muss sie Oba geliebt haben, dass sie ihr Kind seinetwegen zurückließ? Die Geschichte jedoch denunziert sie: Sie sei gierig. Mag sein. Hat sie kein Recht auf ein wenig Glanz? Gerade rechtzeitig entdeckt Oba seine Rechtschaffenheit und verlässt sie. Wie mag sie gelebt haben danach? Wovon?«
Unmerklich hatte sich Dhayqes Tonfall verschärft. »Wie viele Jahre hat der namenlose Sohn der namenlosen Mutter ohne seine Mutter gelebt? Ohne seinen Vater, den wir bequem vergessen haben, diesen kleinen, ach so nichtsnutzigen Beamten?
Aber am Ende steht nicht der Beamte, sondern Rhodan im Licht. Retter der vielen. Lehrer der Unbelehrten. Und die, die er zu Waisen gemacht hat, erweisen ihm ihre Reverenz.«
»Oba«, erinnerte ihn Beathan. »Nicht Rhodan.«
»Sagte ich Rhodan?«
Dhayqe lachte ein reines Lachen, warm wie ein Gong aus Kupfer. Mit einem kurzen
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